Auf die Details kommt es an (Teil 6) – Das Hiphil
Die hebräische Grammatik unterscheidet sich in manchen Bereichen sehr deutlich von der deutschen Sprache. Das führt dazu, dass bestimmte sprachliche Konstellationen nur bedingt ins Deutsche übertragen werden können.
Übersetzer stehen damit vor großen Herausforderungen. Sie müssen entscheiden, wie sie bestimmte grammatikalische Strukturen, die es im Deutschen nicht gibt, korrekt wiedergeben. Manchmal münden die Entscheidungen, auch wenn sie nach bestem Gewissen getroffen wurden, in irreführende Übersetzungen.
In diesem Beitrag schauen wir uns eine dieser grammatikalischen Besonderheiten an, die Übersetzern regelmäßig Kopfzerbrechen bereitet haben muss. Das Hiphil.
Hebräische Verben und ihre Stammmodifikatoren
Jedes hebräische Verb besteht aus einer Wurzel bzw. Stamm. In den meisten Fällen bilden drei Buchstaben diesen Stamm. Um verschiedene Konjugationen des Verbs abzubilden (also Veränderungen der Person, des Genus oder des Tempus etc.) werden bestimmte Buchstaben als Präfix oder Suffix vor bzw. hinter die Wortwurzel gestellt.
Nun gibt es Konjugationsformen, die dem Hebräischen sehr eigen und zumindest in der deutschen Sprache nicht zu finden sind. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Hiphil.
Das Hiphil beschreibt unabhängig von der Person oder der Zeitform des Verbs einen bestimmten Modus. Ein Verb im Hiphil hat eine aktive, kausative Bedeutung. Das heißt, es drückt einen Vorgang aus, durch welchen eine Handlung bewirkt wird.
Ich möchte hier nicht tiefer auf die Feinheiten innerhalb des hebräischen Textes eingehen. Dieser Beitrag soll keine Grammatikschule werden, sondern ein Gefühl dafür wecken, welche Facetten innerhalb des hebräischen Textes schlummern. Für einen Einstieg in die Grammatik der hebräischen Verben empfehle ich folgendes kostenloses Buch: Das Verbalsystem im Biblischen Hebräisch von Peter Streitenberger
Um ein Gefühl für die Bedeutung des Hiphils zu bekommen, schauen wir uns einmal ein Beispiel an.
Nehmen wir den deutschen Satz: Er schrieb einen Brief.
Das Verb in diesem Satz ist schreiben. Nehmen wir einmal an, wir hätten diesen hebräischen Satz vor uns. Das Verb würde aber im Hiphil stehen. Wie würden wir den Satz übersetzen? Da es im Deutschen keine entsprechende grammatische Struktur gibt, müssen wir einen Umweg wählen.
Wir könnten übersetzen: Er verursachte, dass ein Brief geschrieben wurde.
Wahrscheinlich kommt diese Übersetzung dem Sinn am nächsten, da das Hiphil zwar ausdrückt, dass etwas verursacht wird, die genaue Ursache aber erst aus dem Kontext der Textpassage ersichtlich ist – wenn überhaupt.
Eine weitere Möglichkeit der Übersetzung wäre: Er diktierte einen Brief.
Das Diktat ruft das Schreiben hervor. Allerdings bedeutet diese Übersetzung auch, dass ein völlig anderes Verb benutzt wird. Es handelt sich dann auch nicht mehr um eine wortgetreue Translation.
Wir sehen, dass die Bibelübersetzer in einem Dilemma stehen, das Hiphil korrekt wiederzugeben. Leider haben sie in vielen Fällen die Entscheidung getroffen, diesen Modus des Verbs bei der Übersetzung einfach zu ignorieren. Doch tatsächlich kann das Hiphil den Sinn eines Satzes signifikant ändern.
Im Folgenden sehen wir uns drei Beispiele dazu an.
Wer nähert sich – der Pharao oder die Hebräer?
Das erste Beispiel handelt davon, wie der Pharao Israel nach dem Auszug aus Ägypten verfolgte und am Schilfmeer stellte. Die für uns relevante Textstelle lautet:
Und als der Pharao nahe zu ihnen kam, erhoben die Kinder Israels ihre Augen, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her! Da fürchteten sich die Kinder Israels sehr, und sie schrien zu YHWH. (2. Mose 14,10)
Die fett hervorgehobene Formulierung, dass der Pharao nahe zu den Kindern Israels kam, steht im hebräischen Text im Hiphil. Es müsste sinngemäß lauten:
Der Pharao verursachte, dass er nahe an die Kinder Israels kam…
Die hebräische Formulierung lässt durchaus das Szenario zu, dass der Pharao einfach stehen blieb, sobald er in Sichtweite der Hebräer war und diese sich wie unter Hypnose auf ihn zubewegten. Es muss also nicht so sein, dass der Pharao es war, der sich Israel näherte.
Die Gaben der Stiftshütte – ganz freiwillig?
Das zweite Beispiel finden wir im Bericht über die Darbringung der Gaben zum Bau der Stiftshütte. Es heißt, dass alle Gaben freiwillig zur Stiftshütte gebracht wurden (Vgl. 2. Mose 35,22). Können wir daraus schließen, dass alle Hebräer sofort Feuer und Flamme waren und ihre Gaben augenblicklich brachten? Der hebräische Text zeigt uns etwas anderes.
Und wer Silber und Erz als freiwillige Gabe darbringen wollte, der brachte es als freiwillige Gabe für YHWH. Und wer Akazienholz bei sich fand, der brachte es für jegliche Arbeit des Dienstes. (2. Mose 35,24)
Die Übersetzung des zweiten Satzes im oberen Vers ist aus verschiedenen Gründen nicht ganz korrekt. Zunächst ist das Verb finden im Passiv geschrieben. Es müsste also heißen
Wer mit Akazienholz gefunden wurde …
Zweitens steht das Wort bringen im Hiphil. Der Sinn des Satzes ist wohl vielmehr:
Bei wem Akazienholz gefunden wurde, der wurde überredet, es zum Bau der Stiftshütte beizusteuern.
Am Ende brachten es diese Männer zwar freiwillig, aber aus dem hebräischen Text lässt sich schließen, dass auch etwas Überredungskunst nötig gewesen sein könnte. In den meisten Bibelübersetzungen geht dieser Aspekt aber verloren, eben weil das Hiphil nicht gut ins Deutsch übertragbar ist.
Zinsen erheben oder zahlen?
An verschiedenen Stellen in der Bibel werden wir darauf hingewiesen, dass wir keine Zinsen gegenüber unseren Brüdern erheben sollen.
Im zweiten Buch Mose finden wir diese Aussage im Zusammenhang mit einem Armen, dessen Notlage wir nicht ausnutzen sollen, indem wir ihm für unser Darlehen noch Zinsen abverlangen. Im dritten Buch Mose wird dieses Prinzip auf den Gast oder Fremdling erweitert.
Im fünften Buch Mose finden wir eine Wiederholung des bereits Bekannten. Oder doch nicht? Der Vers lautet:
Du sollst deinem Bruder keinen Zins auferlegen, weder Zins für Geld noch Zins für Speise, noch Zins für irgendetwas, das verzinst werden kann. (5. Mose 23,20)
Die Formulierung Zins auferlegen steht im hebräischen Text im Hiphil. Jüdische Quellen geben den Sinn dieses Gebots wie folgt wieder:
Du sollst deinem Bruder auch keinen Zins geben … (also auch gar nicht die Ursache dafür sein, dass er auch Zins nehmen kann).
Damit liegt die Verantwortung nicht nur beim Gläubiger, sondern auch beim Schuldner, sich auf ein entsprechendes Geschäft gar nicht einzulassen.
Fazit
Wir sehen, wie wichtig es ist, sich den Urtext anzusehen, um die Details in der Bibel freizulegen. Natürlich können wir nicht alle Hebräisch-Spezialisten werden. Aber es kann nicht schaden, lernbereit zu bleiben und sich weiterzubilden.
Die deutschen Übersetzungen geben uns einen guten Einstieg und sind sehr hilfreich, um den Rahmen von Gottes Plan zu verstehen. Doch sollten wir uns immer vor Augen halten, dass eine Übersetzung eben nicht das Original ist und manche Ausdrücke auch gar nicht in ihrer reinen Form übersetzt werden können.
Auf der Suche nach weiteren Perlen und Schätzen im hebräischen Text wünsche ich uns viel Freude und Gewinn!
Es ist Gottes Ehre, eine Sache zu verbergen, aber die Ehre der Könige, eine Sache zu erforschen. (Sprüche 25,2)
Bildquelle: Pixabay.com
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Peter
8. September 2023 @ 20:30
Liebe Geschwister,
ich wurde vom Verlag gebeten, die alte Version von 2016 über das hebr. Verb vom Netz zu nehmen, da ich das bis jetzt verbessert und erweitert habe, auch Prof. Jan Joosten und Heinrich von Siebenthal haben dazu beigetragen, wenn ich Autorenexemplare kriegen sollte, könnte ich euch eines schicken. Erinnert mich in einigen Wochen, oder bei vtr nürnberg bzw. Logos Biblesoftware. Eure Seite ist super, danke. Hier der Link vorab als Leseprobe, ich werde dafür sein, dass es günstig wird, verlange selber nichts, bei Logos ggf. etwas, weiß ich noch nicht, wie das läuft, dort als Ebook, auch wenn es noch sieben Jahre mehr an Arbeit war, das nur, da der Link nicht mehr geht. Ich habe einiges ergänzt, zB den Irrealis, der leider immer zu kurz kommt, also mit YIQTOL bzw. QATAL für die Gegenwart bzw. Vergangenheit, und das Verb im Text.
Maranatha Peter Streitenberger
http://www.bibelgriechisch.online/Buchprobe.pdf