Jom Teruah und die Prüfung Abrahams
Jom Teruah wird auch als Posaunenfest bezeichnet. Das liegt vor allem daran, dass das Schofar (die Posaune) das zentrale Element des Festes ist.
Es heißt nämlich:
Rede zu den Kindern Israels und sprich: Im siebten Monat, am ersten des Monats, soll ein Ruhetag für euch sein, ein Gedenken unter Hörnerschall, eine heilige Versammlung. (3. Mose 23,24)
An diesem Feiertag soll eine heilige Versammlung sein und ein Gedenken unter Hörnerschall stattfinden. Doch woran soll gedacht werden?
Das Gedenken
Wir haben an anderer Stelle schon einmal darüber geschrieben, dass sich dieses Gedenken auf das Erscheinen Gottes auf dem Berg Sinai beziehen könnte. Doch es gibt noch viele weitere Ereignisse, die mit dem Schofar verbunden sind.
Eines dieser Ereignisse ist die Akeda, die Bindung Isaaks durch seinen Vater Abraham. Worum geht es dabei aber, dass wir uns an dieese Begebenheit an Jom Teruah zu erinnern sollen?
Wir wollen in diesem Beitrag einen Aspekt beleuchten, den mir zumindest neu war.
Das ganze Ereignis der Akeda wird als Prüfung Abrahams angesehen, denn es heißt:
Und es geschah nach diesen Begebenheiten, da prüfte Gott den Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. (1. Mose 22,1)
Im Folgenden werden wir uns mit dem Wort prüfen beschäftigen. Es stellt sich ja die Frage, warum Gott, Abraham prüfen musste, wo er doch den Ausgang der Geschichte kannte. Der Allmächtige konnte selbstverständlich in das Herz Abrahams sehen und wusste, was darin war. Wozu also die Prüfung?
Hier hilft uns ein Blick in den hebräischen Text. Das Verb, welches im deutschen Text mit „prüfen“ übersetzt ist, lautet נָסָה (nasa). In unserer Geschichte steht das Verb aber nicht in seiner Grundform. Es nimmt eine besondere Konjugation an, die die Bedeutung etwas verändert.
Wir sind auf die Konjugation Hiphil bereits an anderer Stelle eingegangen und haben gesehen, wie sie den Sinn eines Textes verändern kann. Gleichzeitig tun sich die Übersetzer sehr schwer, diese Konjugationen zu übersetzen, da sie kein Äquivalent in der deutschen Sprache haben.
Das Piel
Im Falle der Prüfung von Abraham steht das Verb im Piel. Was bedeutet das?
Das Piel wird genutzt, um Verben einen faktitiven Charakter zu geben. Wir wollen dies an zwei Beispielen anschauen.
Wenn das Grundverb beispielsweise „lernen“ ist, so würde es im Piel „lehren“ bedeuten. Das Piel bewirkt, dass etwas getan wird.
Ist das Grundverb „unrein sein“ so lautet das Piel „verunreinigen“ oder „unrein machen“. Hier drückt das Piel aus, dass ein Zustand bewirkt oder veranlasst wird.
Im Falle der Prüfung Abrahams können wir also festhalten, dass der Vers besser mit der folgenden Formulierung übersetzt wäre.
Und es geschah nach diesen Begebenheiten, da machte Gott den Abraham zur Prüfung und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. (1. Mose 22,1; Veränderungen durch d. Verf. Dick hervorgehoben)
Auch wenn diese Formulierung den hebräischen Grundtext nicht haargenau trifft, so gibt sie doch den Sinn besser wieder als die originale Übersetzung der Schlachter 2000. Doch für wen wird Abraham zur Prüfung?
Ich mache einmal zwei Vorschläge:
- Abrahams Zeitgenossen: Die meisten Menschen, die in der Zeit Abrahams lebten, waren Heiden und Götzendiener. Menschenopfer gehörte zu ihrem Glauben. Abraham war bekannt. Als dieser für alle sichtbar mit dem Feuer und dem Holz seinen Sohn zu einer Opferstätte führte, ihn dann aber nicht opferte und dennoch unversehrt zurückkam, konnten alle seine Zeitgenossen an Hand von Abraham prüfen, dass Gott anders war. Er wollte nie Menschenopfer.
- Das himmlische Heer: Auch der Himmel und dessen Bewohner konnten anhand dieser Begebenheit erkennen, dass Gott keine Menschenopfer will, sondern, dass er vielmehr seinen eigenen Sohn gegeben hat, damit die Menschen frei werden konnten. YHWH stellte mit der Akeda auch seine gerechte Regentschaft vor den Engeln auf den Prüfstand.
Das Feldzeichen
Um diese Bedeutungen noch zu unterstreichen, wollen wir noch eine Besonderheit des Verbs nasa ansehen. Darin enthalten ist nämlich auch das Wort נֵס (nes), welches Feldzeichen oder Banner heißen kann.
Vor diesem Hintergrund hat Gott den Abraham sogar zu einem Banner für alle Zeiten gemacht. Denn bis heute taucht die Akeda in vielen Kommentaren und Predigten als Beispiel für Gottes Liebe auf. Sie zeigt, wie der Allmächtige den Tod Isaaks verhinderte, indem er sein eigens Lamm zur Schlachtung gab. Gleichzeitig sie aber auch, was echter Glaube bedeutet.
Damit kann das Evangelium allein mit der Akeda erklärt werden. Und Abraham ist der Held der Geschichte, der Gott vertraute und deshalb mit seinem Sohn gemeinsam Erlösung erfuhr.
Fazit
Wenn wir in diesem Jahr an Jom Teruah unter Hörnerschall gedenken, dann sehen wir die Geschichte der Akeda vielleicht mit anderen Augen. Darüber hinaus sollten wir uns klarmachen, dass auch wir Feldzeichen für Gott sind, dass auch wir durch unseren Glauben den Allmächtigen und sein Wesen repräsentieren dürfen.
So lasst uns diese Wahrheit ergreifen und darin leben!
Bildquelle: The Jewish Museum / A gift of the heirs of Jacob Schiff (CC BY 3.0)
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