Wo liegt unsere Orientierung?
Wenn wir uns in der Welt bewegen, nehmen wir sie zuerst mit unseren natürlichen fünf Sinnen wahr: Sehen, Hören, Riechen, Tasten und Schmecken. Diese Sinne ermöglichen es uns, unsere Umwelt zu erfassen und in wenigen Sekunden zu bewerten. In vielen Situationen ist diese Bewertung sogar lebensnotwendig. Wenn wir den Geruch von Brand wahrnehmen, wissen wir, dass sich in der Nähe ein Feuer befindet. Wir schauen uns um und fliehen, wenn wir feststellen, dass wir uns in einem brennenden Haus befinden.
Unsere Sinne spielen eine elementare Rolle, um uns in unserer Umwelt zu orientieren. Es gibt jedoch Dinge, die wir wahrnehmen, aber nicht immer richtig bewerten können. Wenn wir uns dennoch irren, können wir großen Schaden anrichten.
Doch was gibt uns Orientierung?
Ein Blick in den Duden zeigt, dass der Begriff “sich orientieren” verschiedene Bedeutungen hat:
- Die richtige Richtung finden und sich in einer unbekannten Umgebung zurechtfinden.
- Jemanden informieren oder unterrichten.
- Die Aufmerksamkeit, Gedanken oder den Standpunkt in bestimmter Weise an etwas oder jemanden ausrichten.
- Ein Kultgebäude oder eine Kirche in der West-Ost-Richtung anlegen.
Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/orientieren#Bedeutung-1 (abgerufen am 05.07.2023)
Im Alltag verstehen wir unter Orientierung meist das Finden eines Weges oder das Verschaffen eines Überblicks, sei es physisch oder geistig.
Besonders interessant ist die vierte Bedeutung, die im Duden genannt wird. Die Ausrichtung von Kirchen entlang der West-Ost-Achse. Hier liegt der eigentliche Ursprung des Wortes Orientierung.
Wenn wir ein etymologisches Wörterbuch zurate ziehen, erfahren wir, dass das Wort Orientierung vom lateinischen orientatio und dessen verbalen Pendant orientare abstammt. Orientare bedeutet so viel wie “sich nach Osten ausrichten”. Für viele westliche Kirchen bedeutete dies, sich nach Jerusalem auszurichten.
Besonders in der byzantinischen Zeit und im Mittelalter wurden zahlreiche große Kirchengebäude so erbaut, dass sie nach Osten zeigen sollten. Diese Ausrichtung kann auf zwei verschiedene Arten interpretiert werden.
Welche Ausrichtung?
Zum einen könnte die Ausrichtung auf den Sonnenaufgang symbolisch für die Sonnenanbetung stehen. Dies wäre jedoch ein klarer Verstoß gegen die Gebote Gottes. Es steht eindeutig in der Torah geschrieben, dass man keine Götzenbilder anbeten soll.
So bewahrt nun eure Seelen wohl, weil ihr keinerlei Gestalt gesehen habt an dem Tag, als YHWH aus dem Feuer heraus mit euch redete auf dem Berg Horeb, damit ihr nicht verderblich handelt und euch ein Bildnis macht in der Gestalt irgendeines Götzenbildes, das Abbild eines männlichen oder weiblichen Wesens, das Abbild irgendeines Tieres, das auf Erden ist, das Abbild irgendeines Vogels, der am Himmel fliegt, das Abbild irgendeines Wesens, das auf dem Erdboden kriecht, das Abbild irgendeines Fisches, der im Wasser ist, tiefer als die Erdoberfläche; dass du deine Augen auch nicht zum Himmel hebst und die Sonne und den Mond und die Sterne und das ganze Heer des Himmels anschaust und dich verführen lässt, sie anzubeten und ihnen zu dienen, die doch YHWH, dein Gott, allen Völkern unter dem ganzen Himmel zugeteilt hat. (5. Mose 4,15-19)
Auf der anderen Seite kann die Ausrichtung nach Jerusalem auch eine Verbindung zur heiligen Stadt bedeuten. In der Heiligen Schrift wird Jerusalem als der “Nabel der Welt” bezeichnet (Vgl. Hesekiel 38,12). Ein Nabel ist der Versorgungskanal eines ungeborenen Kindes und die direkte Verbindung zur Mutter. Da sich Gott selbst mit einer Mutter vergleicht (Vgl. Jesaja 66,13), könnte die Ausrichtung einer Kirche oder einer Gruppe von Gläubigen nach Jerusalem darauf hinweisen, dass sie die Verbindung zu Gott suchen, die Verbindung mit ihrem Ursprung.
Ein ähnliches Verhalten können wir auch bei Daniel beobachten, der während des babylonischen Exils dreimal täglich in Richtung Jerusalem betete.
Als nun Daniel erfuhr, dass das Edikt unterschrieben war, ging er hinauf in sein Haus, wo er in seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem hin hatte, und er fiel dreimal am Tag auf die Knie nieder und betete und dankte vor seinem Gott, ganz wie er es zuvor immer getan hatte. (Daniel 6,11)
Die äußere Perspektive
Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass es nicht immer möglich ist, anhand äußerer Gebetshaltungen oder Ausrichtungen zu beurteilen, ob jemand die Sonne anbetet oder sich nach Jerusalem ausrichtet. Um den wahren Fokus und die Motivation eines jeden Gläubigen zu verstehen, müssen wir sie persönlich kennenlernen. Nur so können wir erkennen, was in ihren Herzen vor sich geht.
Jeschua selbst zeigt uns dieses Verhalten vor. Obwohl er von den Pharisäern und spirituellen Eliten seiner Zeit dafür kritisiert wurde, suchte er die Nähe zu den Zöllnern und Sündern und wollte sie kennenlernen (Vgl. Matthäus 9,9-13). Gott verabscheut die Sünde, aber er liebt die Menschen und wird immer danach streben, sie zur Rettung zu führen, sofern sie es wollen.
Wir sollten uns davor hüten, jemanden vorzeitig für seine Sünden zu verurteilen. Vielmehr sollten wir uns darauf konzentrieren, einem Sünder zu helfen, seine Sünden zu überwinden.
Wo liegt unsere Orientierung?
Daher ist es wichtig, sich selbst die Frage zu stellen, woran wir uns orientieren. Auch wenn wir uns äußerlich mit anderen Gläubigen nach Osten ausrichten, sollten wir uns fragen, ob unser Herz wirklich auf das himmlische Jerusalem ausgerichtet ist. In der westlichen Welt, in der wir leben, gibt es viele Verführungen, die uns vorgaukeln können, in die richtige Richtung zu gehen. Doch sollten wir immer wieder unsere Ausrichtung überprüfen und sicherstellen, dass unser Herz bei Jeschua ist.
Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass die Stiftshütte in der Wüste ihren Eingang im Osten hatte. Jeder Israelit, der sie betrat, hatte den Sonnenaufgang im Rücken. Diese Ausrichtung schloss das Risiko der Sonnenanbetung von vornherein aus. Wer sich also Gott zuwandte, ließ den Götzendienst automatisch hinter sich.
Letztendlich stehen wir als Einzelne vor Gott. Die Begegnung mit dem Allmächtigen ist eine persönliche und intime Erfahrung, die nicht durch die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde ersetzt werden kann. Gemeinschaft ist wichtig, aber um unsere Orientierung nicht zu verlieren, müssen wir uns regelmäßig in die Stille und Intimität begeben. Dort können wir erfüllende Begegnungen mit dem Allmächtigen haben!
Bildquelle: Pixabay.com
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