Den Bruder verstehen 4 – Jüdische Traditionen
Die ganze Thematik rund um die „jüdischen Überlieferungen“ ist sehr komplex – und gerade Menschen, die nicht mit dem Judentum groß geworden sind, stehen ihnen oft skeptisch gegenüber.
Manchmal kommt es mir sogar so vor, dass viele Gläubige das gleiche Misstrauen und ähnliche Vorbehalte gegen jüdische Traditionen haben, wie „normale“ Christen bezüglich der Torah!
Insofern starten wir nun einen erweiterten Exkurs über die jüdischen Überlieferungen und wollen versuchen zu verstehen, warum unser Bruder Juda mit ihnen lebt.
Um besser auf die unterschiedlichen Aspekte eingehen zu können, möchte ich die Thematik etwas unterteilen. Das Ganze sieht dann wie folgt aus:
- Teil 4 des Kurses: Jüdische Traditionen (dieser Teil)
- Teil 5 des Kurses: Menschengemachte Gebote
- Teil 6 des Kurses: Die Oral Torah
Somit erhalten wir einen Einblick in eine Welt, die vielen von uns nicht nur fremd, sondern die auch mit vielen Vorurteilen durchtränkt ist.
Traditionen
Es gibt eine Menge Traditionen im Judentum, die sich über die Jahrhunderte etabliert haben und unter den meisten Juden gelebt werden. Als Beispiele könnte man folgende nennen:
- Das Anzünden von Kerzen zum Schabbateingang
- Die täglichen Gebete am Morgen, Nachmittag, Abend, vor dem Schlafengehen
- Das Feiern von Chanukka oder Rosh HaShana
- Verschiedene Kleidungsstile
Viele von diesen haben eine so lange Geschichte, dass es sehr unüblich ist, wenn man sie als Jude nicht leben sollte. Sie werden nicht unbedingt als Gebote gesehen, doch ihr Status ist nicht weit davon entfernt, da sie als wichtige Mitzvot, also als gute Taten, betrachtet werden.
Viele Gläubige, die anfangen, die Wurzeln des Glaubens zu erforschen, übernehmen einige jüdische Traditionen. So höre ich zum Beispiel immer wieder von Geschwistern, die nicht nur einen Schabbateingang, sondern auch einen Schabbatausgang feiern. Im Jüdischen nennt man das „Havdala“. Und jeder der Kinder hat, versteht, dass ein solches offizielles Ende des Schabbats sehr hilfreich ist (Kinder fragen so gerne „Ist der Schabbat jetzt vorbei?“).
Und doch herrscht eine gewisse Unsicherheit bezüglich all dieser jüdischen Traditionen!
Fragen tauchen auf: Kann man jüdische Traditionen übernehmen? Bedenkenlos? Weicht man dann nicht doch wieder von der Torah ab, weil man Dinge etabliert die nicht in der Torah stehen?
Die Geschichte deiner Traditionen
In diesem Kursteil werden wir uns damit auseinandersetzen und einigen wichtigen Gedanken nachgehen. Doch ich hoffe, du bist nicht enttäuscht, wenn ich dir auf diese Fragen nicht DIE Antwort geben kann. Jeder von uns ist aufgefordert zu prüfen und abzuwägen – was natürlich gesund ist.
Schließlich haben wir alle eine bestimmte Geschichte hinter uns. Für viele Gläubige war es ein Schock zu erkennen, dass man all die Jahre hindurch heidnische Traditionen gelebt hat. Man denke nur an Weihnachten und Ostern, die mit Elementen aus heidnischen Religionen gefüllt sind. Kein Wunder, dass man nun vorsichtig beim Thema Traditionen ist.
Doch auf der anderen Seite müssen wir uns auch fragen, ob Traditionen generell etwas Schlechtes sind?
Zunächst sind Traditionen einfach nur bestimmte Gewohnheiten, die sich über lange Zeit etabliert haben – oft schon bei Eltern oder Großeltern. Und das ist zunächst nichts Gutes oder Schlechtes, sondern einfach neutral. Aber je nachdem, was es für Traditionen sind, können sie natürlich positive oder negative Auswirkungen haben.
Die Gewohnheit zum Beispiel, sich täglich die Zähne zu putzen, ist alles andere als verkehrt. Während dagegen die „Tradition“, bei jedem Treffen eine halbe Stunde zu spät zu kommen, in Deutschland nicht so gut ankommt.
Wenn wir also ehrlich sind, haben wir alle irgendwelche Traditionen – und viele davon stören uns nicht, sondern empfinden sie als durchaus positiv! Überleg mal… Jede Familie hat irgendwelche Traditionen! Und gerade Kindern tut es gut, Rituale zu haben. Es gibt ihnen Sicherheit und schafft eine Wohlfühlatmosphäre.
Nicht zufällig fiel es manch einem schwer, Weihnachten mit all den schönen Traditionen wie Lebkuchen und Stollen hinter sich zu lassen.
Traditionen haben eine Kraft in sich, die helfen kann, positive Taten zu etablieren – und damit sogar meinen Charakter zu prägen. Wenn ich zum Beispiel jeden Tag auf der Straße Bedürftigen Geld schenke, verändert mich das zum Guten – und das Leben der Bedürftigen auch.
Und damit schneiden wir einen zentralen Bereich beim Thema Traditionen an!
Lehre deine Kinder
Die Torah hat nur halben Wert, wenn wir sie nicht unseren Kindern beibringen. Das Leben in den Geboten Gottes ist absolut Familien- und Kinderorientiert und ein großer Fokus liegt darin, den Kindern das weiterzugeben, was man selbst gelernt hat.
Nur dadurch konnte die Torah über die Jahrhunderte bestehen. Logisch, wenn wir unseren Kindern nicht die Torah beibringen, stirbt sie aus.
Im Shma-Israel ermahnt die Torah sehr eindringlich dazu:
5.Mo 6,4-7: Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein! Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du auf dem Herzen tragen, und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt oder auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst.
5.Mo 11,18-19: So nehmt euch nun diese meine Worte zu Herzen und in eure Seele, und bindet sie zum Zeichen auf eure Hand, und sie sollen zum Erinnerungszeichen über euren Augen sein. Und ihr sollt sie eure Kinder lehren, indem ihr davon redet, wenn du in deinem Haus sitzt oder auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst.
Wenn wir nun diesen Auftrag mit der Kraft und Macht von Traditionen verknüpfen, beginnt uns zu dämmern, wie wichtig Traditionen sind.
Traditionen können wiederkehrende Elemente im Alltag sein, die die Kinder (und die Eltern) an die Torah und die Taten Gottes erinnern. Sie helfen sogar dabei, die Torah praktisch umsetzen!
Nehmen wir ein paar Beispiele:
Erinnere dich dein Leben lang…
In der Torah gibt es einige Erinnerungs-Gebote. Es steht zwar nicht exakt dabei, wann und wie häufig man sich erinnern soll. Aber sie stehen dort und sind ein klarer Auftrag.
Im Judentum hat sich somit zum Beispiel etabliert, sich täglich an den Auszug aus Ägypten zu erinnern (vgl. das Gebot in 5.Mo 16,3). Dies wird im Beten des Shma-Israels gemacht, in dem die letzten Zeilen davon handeln. In vielen Gebetsbüchern ist hier am Rand vermerkt, sich jetzt an den Auszug zu erinnern.
Es ist eine Tradition, die sich tief etabliert hat. Ist sie schlecht? Keineswegs. Sie hilft sogar, die Torah zu halten.
Nehmen wir ein zweites Beispiel.
Chanukka
Viele Gläubige, die sich aufmachen, die Wurzeln des Glaubens zu erkunden sind skeptisch gegenüber Chanukka. Chanukka (als Fest) wird nicht im Tanach erwähnt (zumindest nicht offensichtlich: Chanukka und versteckte Botschaften). Schließlich fand das Ereignis erst viele Jahre nach dem letzten Propheten der Tanach statt (Maleachi).
Nun hat sich die Tradition bewährt, dieses Fest ausgiebig zu feiern. Juden feiern und erinnern sich an die Wunder Gottes bei diesen Erlebnissen. Gott hat das Volk aus der Hand der Griechen befreit und mit vielen Zeichen und Wundern gewirkt.
Und das…
- …obwohl die Herrlichkeit Gottes nicht unter ihnen im Tempel war.
- …obwohl der Tanach schon abgeschlossen und somit kein biblischer Prophet unter ihnen gewirkt hat.
- …obwohl der Tempel verunreinigt wurde.
- …obwohl das Volk nicht mehr die Heiligkeit hatte, die es zum Beispiel noch zur Zeit Esras hatte.
Gott ist stark und steht zu seinem Volk Israel – trotz all des Leids, dass es in dieser Zeit der Griechen erfahren hat!
Das sind Erkenntnisse, die sehr wichtig sind. Man kann sich vorstellen, dass Juden davon gezehrt haben, wenn sie (wieder mal) Verfolgung, Leid und Tod erleben mussten.
Nun ist das Chanukka-Fest gefüllt mit praktischen Elementen, die an diese Erlebnisse und damit an Gottes Wirken erinnern: Kerzen anzünden, Krapfen (Sufganiot) essen, Kartoffelpuffer (Latkes),… (siehe auch: Mal etwas anders als sonst: Latkes Rezept und Dreidel in Aktion)
Diese Traditionen sind also nichts Schlimmes. Sie widerspricht nicht der Torah, sondern die Frucht davon ist, dass die Taten Gottes gerühmt werden und dem Volk Mut zugesprochen wird.
Und das geschieht auf eine Art und Weise, dass es auch Kinder verstehen!
Man sieht, wie wichtig praktische Traditionen im Kontext der Kindererziehung sind. Es geht immer um Gott, die Torah und Sein Volk.
Übernommene Weisheiten
Juden haben viele solcher Traditionen etabliert. Interessanterweise haben diese Traditionen immer einen Hintergedanken – einen Grund: Sie sollen an die Torah erinnern oder Gebote daraus erfüllen. Sie sollen Gott oder Seine Werke ehren. Sie sollen daran erinnern, dass Gott ein Heiliges Volk haben möchte.
Man folgt bei diesen Traditionen übrigens einem wichtigen Prinzip:
Spr 1,8: Höre, mein Sohn, auf die Unterweisung deines Vaters, und verwirf nicht die Lehre deiner Mutter!
Spr 6,20: Bewahre, mein Sohn, das Gebot deines Vaters, und verwirf nicht die Lehre deiner Mutter!
Juden sagen, dass wenn unsere Vorfahren (die tiefer in der Torah-Materie waren), solche Weisheiten weitergegeben haben, wer sind dann wir, dass wir nicht auf sie hören?
Dies drückte der weiseste Mann der Welt in diesen Versen aus.
Dein Urteil
An dieser Stelle sollten wir eine wichtige Sache beachten:
Jüdische Traditionen können seltsam auf uns wirken. Das Problem dabei ist aber, dass wir schnell im Urteilen und Bewerten sind.
Doch wenn wir feststellen, dass immer (mindestens) ein guter Grund hinter einer Tradition liegt, sollten wir etwas vorsichtiger und langsamer mit unserem Urteil sein. Viele Hintergedanken von Traditionen können wir nicht direkt verstehen oder sind nicht offensichtlich. Diese Erfahrung habe ich selbst mehrere Male gemacht.
Wie oft hab ich mich in den letzten Monaten erwischt, wie ich jüdische Überlieferungen schräg oder komisch fand – solange, bis ich die Begründungen dazu hörte. Vieles macht Sinn und ich für mich habe beschlossen, nicht mehr zu schnell zu urteilen.
Im Gegenteil. Mich begeistert es sehr, wie es die Liebe zur Torah ist, durch die viele Traditionen entstanden sind.
Und mit der Hilfe von Traditionen war es überhaupt erst möglich, dass die Juden die Torah über die Jahrhunderte bewahren konnten. Traditionen haben eine große Kraft.
Ein Seitenblick: Die Wurzel von Traditionen
In okkulten Kreisen ist es üblich, dass man sich in Rauch einhüllt, um Geister zu befragen. Kerzen werden angezündet, Weihrauchstäbchen angezündet, usw. (nicht dass ich mich damit auskennen würde).
Doch ist es nicht interessant, dass die gleichen Praktiken auch in der Torah für die Stiftshütte beschrieben werden!?
Die Menorah wird angezündet, das Weihrauchbecken steht im Heiligtum und in dem Rauch des Allerheiligsten weilte die Herrlichkeit Gottes.
Da hat wohl jemand abgeschaut, oder?
Auch Öle sind in solchen Kreisen weit verbreitet, obwohl sie einen klaren biblischen Bezug haben.
Was ich damit sagen will?
Nur weil wir sehen, dass Praktiken im Okkulten und gleichzeitig auch im Glauben zu finden sind, heißt das nicht notwendigerweise, dass sie zu verwerfen sind.
Leider gibt es solche Meinungen über einige jüdische Traditionen.
Dabei wird oft darauf verwiesen, dass man solche negativen Praktiken aus Babylon importiert hätte. Für mich steht dem aber die von Gott möglich gemachte Rückkehr ins Land gegenüber (siehe Teil 3 des Kurses).
Doch ich möchte nicht sagen, dass wir einfach alles aus dem Judentum übernehmen sollen. Mir ist es sehr wichtig, dass wir fragen, prüfen, nach dem Warum fragen – insbesondere bevor wir urteilen!
Immer mehr merke ich dabei, dass dazu auch viele Seiten im Internet nicht dienlich sind. Das Ziel muss sein, dass wir anfangen, das Gespräch mit Juden zu suchen (wenn wir Fragen über das Judentum beantwortet haben wollen)!
Traditionen und die Torah
Es gibt zwei weitere typische Einwände gegen jüdische Traditionen:
Zum einen hört man hin und wieder, dass Traditionen höher als die Torah stehen würden.
Vielleicht gab es Zeiten, wo das so war. Doch wenn man sieht, welchen extrem „hohen“ Stellenwert die Torah im Judentum tatsächlich hat (da passt nicht viel drüber), merkt man, dass sich diese Gedanken schnell legen. Die Prozession in einem Schabbat-Synagogen-Gottesdienst drückt das sehr schön aus.
Angenommen eine Tradition würde höher als die Torah stehen, dann müssten sie sich in einem Punkt widersprechen, so dass die Tradition höher gestellt werden kann. Mir ging es schon so, dass ich dachte, dass sei tatsächlich der Fall. Doch als ich mich näher damit beschäftigt habe, war es dann ganz anders.
Ich sage nicht, dass es solches nicht gibt. Doch es hilft auch hier, wenn man erst nachfragt und forscht, bevor man urteilt.
Ein zweiter Einspruch gegenüber Traditionen ist, dass man ja nichts machen möchte, was nicht auch in der Torah steht.
Doch selbst in der Bibel lesen wir, wie Menschen Dinge tun (sogar Feste feiern), die nicht in der Torah verordnet sind – und Gott hat damit kein Problem:
- Abraham feiert die Entwöhnung von Isaak (1.Mo 21,8)
- Das Haus Juda und die, die sich zu Juda halten, feiern Purim (Est 9,26ff)
- Yeshua nimmt an Chanukka teil (Joh 10,22)
Danke, für Traditionen…
Unser Leben ist gefüllt mit Traditionen. Und das ist gut. Schließlich sind wir Menschen so aufgebaut, dass uns Rituale, Rhythmen und Gewohnheiten gut tun. Die ganze Schöpfung besteht aus Kreisläufen (Tage, Wochen, Jahre, Jahreszeiten, Wasserkreislauf, der menschliche Körper,…).
Die Bibel empfiehlt, sich an den Weisheiten der Eltern und Vorfahren zu orientieren und sie nicht zu verwerfen. Und Traditionen können bei dieser Orientierung eine große Hilfe sein, weil sie sehr kraftvoll sind. Durch sie lernen wir schneller und tiefgehender.
Und speziell wenn es darum geht, Kinder mit etwas vertraut zu machen oder ihnen die Torah zu lehren, wäre es unlogisch, nicht auf Traditionen zurückzugreifen.
Insofern macht es durch und durch Sinn, dass Juden ihren praktischen, alltäglichen Glauben mit Traditionen geschmückt haben. Allesamt haben sie einen tieferen Sinn und helfen, die Torah zu lehren und zu leben.
- Die Stämme Israels – Teil 12 – Ephraim - 9. September 2024
- Die Stämme Israels – Teil 13 – Juda - 9. September 2024
- Danke und Schalom – von Hosea Ben Zion - 26. Juli 2017
Zipporah
17. Februar 2016 @ 13:27
Super ist auch die folgende Stelle:
Lk 4,16
und ging nach seiner Gewohnheit (Tradition, Brauch – er hat sie akzeptiert) am Sabbattag in die Synagoge und stand auf, um vorzulesen.
Yeschua hat sich hier unter die Bräuche untergeordnet: wer macht wann was, was wird gelesen, wann darf man aufstehen, etc.
Hosea
19. Februar 2016 @ 8:53
Danke, Zipporah!
Gertraud Dautel
21. Februar 2016 @ 11:55
Danke. lieber Hosea! ja, auch ich habe mich schon dabei entdeckt, Traditionen negativ zu beurteilenm obwohö ich sie nur oberflächlich kannte! ich will das aber nicht, und deshalb ist es gut sie zu hinterfragen! doch manchmal weiß selbst der “Ausfühende” nicht so richtig, um was es bei dieser Tradition geht. für mich ist es dehalb wichtig, den VATER zu befragen, und ob IHM dabei die EHRE gegeben wird!
Ich hatte auch überlesen, dass JAHUSHUA selbst CHanukka feierte!
Schalom bajit!
Hosea
23. Februar 2016 @ 10:37
Danke auch, Gertraud!
Mir hat es auch viel geholfen, Juden direkt zu fragen, warum sie ein Tradition feiern. Man merkt relativ schnell, ob das in der Torah gegründet ist.
Shalom,
Hosea
Micha
8. März 2016 @ 12:01
Lieber Hosea
Du hast absolut recht, dass wir Traditionen viel zu schnell verurteilen. Die jüdischen Traditionen sind weit davon entfernt schlecht zu sein. Betreffend der pharisäischen Überlieferungen sagt Jesus sogar: “Alles was, was sie euch sagen, das tut, und haltet (…)” Matthäus 23.03.
Da ich bei der grössten jüdischen Gemeinde der Schweiz arbeite, habe ich täglich Einblicke in ihr Glaubensleben. Die mündlich überlieferten Gebote sind für die Juden genauso verbindlich wie die schriftliche überlieferten der Torah. Sie glauben, dass Mose diese mündlichen Gebote (Talmud) ebenfalls am Berg Sinai von Gott bekommen hatte. Daher sind diese “Traditionen” für die Juden weit mehr als Traditionen, es sind verbindliche Gesetze Gottes. Sie haben menschengemachte Gebote auf die gleiche Stufe wie die Gebote Gottes gehoben. Das Problem ist nun, wie es auch Jesus aufzeigte, dass die Pharisäer ihrer mündlichen Überlieferung wegen teilweise das Gesetz Gottes übertreten. Es gibt wirklich zahlreiche Gebote in der Torah, die durch die mündlichen Gebote der Juden interpretiert, ausgelegt, erweitert bis hin zu völlig sinnentfremdet und in ihr Gegenteil verkehrt wurden. (Nachzulesen in der Sefer Hachinuch, fünf Bände mit Auslegungen zu den 613 Mizwot).
Aus diesem Grund sollten wir trotzdem bezüglich der jüdischen Traditionen vorsichtig sein und dürfen nicht gutgläubig diese Traditionen übernehmen. Aber uns ist ja allen klar, dass wir sowieso alles durch den heiligen Geist und die Schrift prüfen sollen, bevor wir es übernehmen und glauben…
@ Gertraud Dautel
Yeshuah hat Channukka gefeiert? Das habe ich auch überlesen, wo hast du das gefunden?
Liebe Grüsse
Micha
Hosea
8. März 2016 @ 21:52
Shalom Micha,
Danke für deine Nachricht. Welche Gebote werden sinnentfremdet? Würde mich interessieren…
Hast du die anderen Teile der kleinen Serie auch gelesen?
Den Bruder verstehen 5 – Menschengemachte Gebote
Den Bruder verstehen 6 – Die Oral Torah
Reichen Segen,
Hosea
Giselle
8. März 2016 @ 17:45
Hallo Gertraud,
bist Du so freundlich und sagst mir die Stelle in der Bibel wo es steht, dass Yeshuah Chanukka gefeiert hat.
Vielen Dank.
Hosea
8. März 2016 @ 21:48
Joh 10,22f: Es fand aber in Jerusalem das Fest der Tempelweihe [= Chanukka] statt; und es war Winter. Und Jesus ging im Tempel in der Halle Salomos umher.
Mehr über Chanukka in der Bibel hier:
Segen,
Hosea
Micha
8. März 2016 @ 22:56
Vielen Dank für die Stelle mit Chanukka!
Hier drei Beispiele von denen ich denke, dass die mündliche Überlieferung das eigentliche Gebot in der Torah sinnentfremdet. Das “jüdische Verständnis” ist jeweils ein Auszug aus der entsprechenden Auslegung in der Sefer Hachinuch.
“Und du sollst bei einem Rechtsstreit nicht antworten, indem du dich nach der Mehrheit richtest und so das Recht beugst.” (2. Mose 23:2) Jüdisches Verständnis: (…) wenn einige schuldig sprechen und einige unschuldig, soll immer der Mehrheit gefolgt werden, wie es steht: “Der Mehrheit soll gefolgt werden” (Exodus 23:2).
“Du sollst nicht töten” (2. Mose 20.13) Jüdisches Verständnis: Die extremen Frevler jedoch, wie z.B. Ketzer und Verleumder gelten nicht als erwünschte Bewohner der Erde und sind von diesem Gebot ausgenommen.
Du sollst nicht stehlen (2. Mose 20.15) Jüdisches Verständnis: Man darf keinen jüdischen Menschen entführen (…), und die Erklärung wurde mündlich überliefert (TB Sanhedrin 86a), dass dieser Vers vom Stehlen eines (jüdischen) Menschen handelt.
Meine Erfahrung ist es, dass im Zweifelsfall dem Talmud gefolgt wird und nicht der Torah. Aber das kennen wir ja auch aus vielen Kirchen. Im Zweifelsfall wird irgendeiner Auslegung gefolgt um ja nicht die Bibel wörtlich nehmen zu müssen.
Wie bereits erwähnt ist das für mich genau, was Jesus am Pharisäertum kritisierte. Es ist schon gut, dass sie Menschengebote halten. Aber schlecht ist, dass sie diese höher gewichten als die Gebote Gottes, oder dieses sogar um ihrer mündlichen Gebote willen übertreten.
Hosea
10. März 2016 @ 12:01
Danke, Micha. Das ist interessant. Hast du damit auch schon mit Juden, bzw. Rabbinern geredet?
Ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass Menschen etwas glauben, weil sie es selbst im Internet gelesen oder im Talmud gelesen haben. Dabei treten oft extrem viele Missverständnisse auf. Gerade beim Talmud. Im sechsten Teil des Kurses nehme ich ja Bezug dazu.
Wenn der Sanhedrin einen Beschluss fassen musste, wurde natürlich nach der Mehrheit gegangen. Doch das widerspricht sich ja nicht 2.Mo 23,2. Dort geht es um etwas ganz anderes.
Zu 2.Mo 20,13: Das heißt, du glaubst, Juden glauben, sie dürfen morden, wenn es sich um Ketzer etc handelt? Vielleicht ist es so. Aber ich habe etwas ganz anders von Rabbinern gehört.
Naja, man mag sicherlich viele Beispiele finden, in denen man solche Fälle wie du sie aufführst findet. Doch ich für mich habe beschlossen, solchen Aussagen nicht direkt zu glauben. Ich erlebe Juden hier ganz anders als du beschreibst “Im Zweifelsfall wird irgendeiner Auslegung gefolgt um ja nicht die Bibel wörtlich nehmen zu müssen.” ist weit von dem entfernt, was ich hier wahrnehme. Da kann ich jeden nur ermutigen vor dem Urteilen das Gespräch zu suchen.
Bezüglich Yeshua ist vielleicht auch das interessant: Fragen & Antworten – 18. Menschengemachte Gebote wirklich ausweitbar??
Wenn es Zahn um Zahn…
Micha
8. März 2016 @ 23:17
Den Teil “Den Bruder verstehen 6 – Die Oral Torah” hatte ich noch nicht gelesen. Sehr interessant deine Ausführung zur jüdischen Perspektive! Und sehr treffend für mich der letzte Abschnitt 😉
Micha
10. März 2016 @ 14:37
Der Satz “Im Zweifelsfall wird irgendeiner Auslegung gefolgt um ja nicht die Bibel wörtlich nehmen zu müssen” war auf christliche Kirchen bezogen und ich wollte damit sagen, dass die Juden bei Weitem nicht die einzigen sind, welche Menschengebote mehr lieben als die Gebote Gottes. Ich glaube da hast du mich falsch verstanden. Ich schätze das Judentum sehr und studiere die Sefer Hachinuch, die jüdische Auslegung der 613 Mizwot, weil ich vom jüdischen Verständnis der Torah lernen möchte. Natürlich bin ich nicht mit allen Auslegungen einverstanden. Menschengemachte Gebote bleiben menschengemachte Gebote und es ist einerlei ob sie von Juden (z.B. Kippah) oder Christen (z.B. orthodoxe Gebetsschnur) sind. Ich verurteile sie nicht, solange sie nicht klar Gottes Wort widersprechen. Da es aber mein Wunsch ist nach den Geboten Gottes zu leben, möchte ich die menschengemachten Gebote in meinem Leben auf ein Minimum reduzieren um das Wesentliche im Auge behalten zu können.
Hosea
10. März 2016 @ 14:41
Wow, cool! 🙂
Ja, tut mir leid. Vielleicht habe ich das missverstanden.