#03 Lech Lecha – „Geh für dich!“
Lech Lecha
1. Mose 12,1-17,27
Jesaja 40,27-41,16; Johannes 8,51-58
In der Lesung Lech Lecha erhalten wir einige Einblicke in die Ehe von Abram und Sarai. Wie in jeder Beziehung gab es auch bei ihnen Höhen und Tiefen. Wir wollen uns eine Begebenheit aus ihrer Ehe ansehen und uns zwei Varianten anschauen, wie diese Begebenheit interpretiert werden kann.
Die Herangehensweise an die Heilige Schrift
Bevor wir konkret mit dem Text arbeiten, möchte ich noch einige Sätze voranstellen.
Im Folgenden werden wir einige Spekulationen über die Motive und das Verhalten insbesondere von Sarai anstellen. Tatsächlich weiß keiner von uns die Details, was damals genau zwischen Abram und Sarai passiert ist. Dennoch offenbart uns die Bibel genau so viel, wie wir wissen müssen.
Wenn Gott bestimmte Details nicht offenbart und somit Raum für verschiedene Varianten lässt, dann tut er das aus meiner Sicht absichtlich. Er schafft damit die Möglichkeit, dass sich jeder innerhalb der biblischen Geschichten wiederfinden bzw. sich mit den Akteuren identifizieren kann.
Deshalb ist es aus meiner Sicht legitim, innerhalb biblischer Geschichte in einem gewissen Maße zu spekulieren, so lang wir uns dabei bewusst sind, dass wir uns nur eine mögliche Variante der Geschichte ansehen. Uns ist klar, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt der beschriebenen Begebenheiten wissen können.
Deshalb lassen wir uns bei unserer Betrachtung der Torahportion Lech Lecha von der Frage „Was wäre, wenn…?“ leiten.
Abrams Zug nach Ägypten
Wir erfahren, dass Abram auf Grund einer Hungersnot nach Ägypten hinabzog (Vgl. 1. Mose 12,10). Dort angekommen, stellte er mit Erschrecken fest, dass er doch mit einer bildhübschen Frau verheiratet war. Er fürchtete um sein Leben, denn in Ägypten konnte es gut sein, dass ein Mann, der Sarai wollte, sie sich einfach nahm und Abram dafür aus dem Weg räumte.
Deshalb hatte Abram folgende Idee:
Und es geschah, als er sich Ägypten näherte, da sprach er zu seiner Frau Sarai: Sieh doch, ich weiß, dass du eine Frau von schöner Gestalt bist. Wenn dich nun die Ägypter sehen, so werden sie sagen: Das ist seine Frau! Und sie werden mich töten und dich leben lassen. So sage doch, du seist meine Schwester, damit es mir um deinetwillen gut geht und meine Seele am Leben bleibt um deinetwillen! (1. Mose 12,11-13)
Abram fürchtete um sein Leben. Und seine Angst war so groß, dass er Sarai buchstäblich jedem interessierten Ägypter auslieferte.
Es kam, wie es kommen musste und der Pharao hatte Interesse an Sarai. Und da sie ja nur die Schwester von Abram war, wurde sie in den königlichen Palast gebracht (Vgl. 1. Mose 12,15).
Obwohl es klar Abrams Aufgabe gewesen wäre, seine Frau zu schützen, hören wir kein einziges Wort des Protests oder der Widerrede von Sarai. Nicht einmal der Hinweis, dass Abram mit einer solchen Aktion ja auch Schuld auf sich lud, kam über ihre Lippen.
Dies führt uns zu zwei möglichen Betrachtungsweisen von Sarais Verhalten.
1. Sarai die traumatisierte Ehefrau
Wir wissen, dass Sarai und Abram denselben Vater hatten, nämlich Terach. Doch hatte Sarai eine andere Mutter. Dies lässt den Schluss zu, dass sie das Ergebnis eines Ehebruchs war.
Das Buch Jaschar klärt uns darüber auf, dass Terach ein hochangesehener Fürst am Hofe des Königs Nimrod war:
Und Terah, der Sohn von Nahor, Prinz von Nimrods Heer, war in jenen Tagen sehr großartig in den Augen des Königsund seiner Untertanen, und der König und die Prinzen liebten ihn, und sie erhoben ihn sehr hoch. (Jaschar 7,49 aus: Buch Jaschar. Nach Übersetzung von Holger Grimme. Wallenfels. 2006. S. 44)
Wir können nur spekulieren, wie ein uneheliches Kind am Hof des Tyrannen Nimrod angesehen war. Doch können wir uns vorstellen, dass Sarai eine schlechtere Position hatte als die ehelichen Kinder.
Möglicherweise sind ihr auch sehr schlimme Dinge passiert, die sie so verunsicherten bzw. traumatisierten, dass sie es auch später nicht wagte, ihrem Mann Abram einen Hinweis auf dessen Sünde zu geben.
Vielleicht hatte sie auch ein so angeschlagenes Selbstbild, dass sie sich gar nicht wert sah, etwas anderes verdient zu haben, als die Nebenfrau des Pharao zu sein.
Und so nahm sie die Position der im Stich gelassenen Frau – vielleicht auch des im Stich gelassenen Mädchens von früher – an und ergab sich ihrem Schicksal.
Doch YHWH intervenierte und rettete sie aus den Händen des Pharao, denn wir lesen in Lech Lecha:
Aber YHWH schlug den Pharao und sein Haus mit großen Plagen um Sarais, der Frau Abrams, willen. (1. Mose 12,17)
YHWH ließ Sarai nicht im Stich, auch wenn es ihr eigener Ehemann tat. Er rettete sie und führte sie in ihre Bestimmung zurück. Er zeigte ihr damit, dass sie für Ihn sehr wohl einen Wert hatte.
2. Sarai die starke Beterin
Eine weitere Variante könnte darin bestehen, dass Sarai erkannt hatte, dass sie mit Einwänden und Protest gegenüber Abram hätte gar nichts ausrichten können. Sie sah, dass die Ängste Abrams so groß und tiefsitzend waren, dass nur Gott ihren Mann davon befreien konnte. Er hätte nicht auf sie gehört. Und so fügte sie sich im Vertrauen auf den Allmächtigen.
Sarai war sich der Tatsache bewusst, dass YHWH sie retten würde. Im Haus des Pharaos betete sie dafür, dass Gott Abram begegnen und ihn von seinen Ängsten befreien würde. Und gleichzeitig betete sie für ihre eigene Befreiung und Schutz vor dem Pharao.
Es dauerte nicht lang und YHWH erhörte ihre Gebete. Abram wurde vom Pharao konfrontiert und gemeinsam mit seiner Frau aus Ägypten verwiesen.
Die Vielfalt in Lech Lecha
Wir sehen, dass die Geschichten, die uns überliefert sind, in ganz verschiedenen Varianten gesehen werden können. Wir kennen die tatsächlichen Vorfälle von damals nicht im Detail. Aber das ist auch gar nicht wichtig.
YHWH möchte mit seinem Wort nicht unser Wissen mehren, sondern unser Herz ansprechen. Und so lässt er viel Raum für Spekulation, sodass für jede individuelle Lebenssituation mindestens eine Begebenheit in der Bibel zu finden ist.
Wie wir diese Begebenheiten für uns anwenden können, haben wir am obigen Beispiel aus Lech Lecha gesehen. Welche Lehren wir für unser Leben daraus ziehen, das liegt ganz an uns.
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