Ephraim auf dem Weg – 9. Der Weg zu den Wurzeln
– Beachte: Dies ist Teil 9 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile –
Mirjam und Rut genossen jeden Augenblick auf dem Torah-Berg. Noch lange sprachen sie mit Ilanah und staunten über ihr Wissen und ihre Fähigkeit, diese Erkenntnisse so verständlich weiterzugeben. Insofern sie waren etwas enttäuscht, dass es schon gleich am nächsten Tag weitergehen sollte. Rut regte sich zunächst ziemlich über Ephraim auf. Aber nachdem Mirjam und Nadav sie beruhigen konnten, beschlossen sie, die wenige verbleibende Zeit zu nutzen und so viel wie möglich mitzunehmen. An Schlaf war also erstmal nicht zu denken.
Ilanah brachte die Gruppe noch zu einigen anderen Gelehrten, bei denen es nicht weniger spannend war. Viele der Torah-Gebote wurden verständlich gemacht oder ganz neu aufgeschlüsselt.
Auch kamen sie mit einigen anderen Lernenden ins Gespräch. Bis spät in die Nacht hinein tauschten sie sich aus, blätterten gemeinsam in der Bibel und diskutierten über einzelne Gebote.
Es war eine herrliche Zeit und erst spät in der Nacht fanden die beiden Schlaf.
Am nächsten Morgen ging die Reise dann weiter. Noch etwas müde kam Mirjam zum verabredeten Ort. Rut war schon früher aufgestanden und stand zusammen mit Nadav und Gideons Familie zum Aufbruch bereit. Kurz nach Mirjam erschien auch Ephraim. „Hervorragend! Ihr seid schon all da. Dann kann es ja losgehen!“
„Ephraim… Kannst du uns vielleicht sagen, wohin wir eigentlich gehen?“, fragte Rut.
„Oh, hat es euch Nadav noch nicht erzählt?“ Ephraim schaute zu Nadav, beantwortete dann aber selbst die Frage. „Heute steuern wir schon das nächste Bergland an. Es ist wunderschön und vor allem aufschlussreich! Besser als alles was ihr bisher gesehen habt.“
„Aber macht euch keine Sorgen.“, sagte nun Nadav. „Der Weg ist sehr angenehm zu gehen und allzu lange ist unsere Tagesstrecke auch nicht. Und übrigens: Ich glaube nicht, dass ihr zum letzten Mal hier wart. Der Torah-Berg ist einer der wichtigsten Orte und wer einmal hier war, will wieder zurück.“
„Ich habe gehört, dass es sogar noch andere Torah-Berge gibt. Stimmt das?“, fragte Gideon, während er seine Tochter auf dem Arm nahm.
„Ja, das stimmt!“, antwortete Ephraim. „Doch für uns sind sie derzeit nicht gut zu erreichen. Gott sei’s gedankt, wenn wir irgendwann mal einen besuchen dürfen…! So. Jetzt aber auf…“
Die Gruppe setzte sich in Gang. Ephraim und Gideon liefen mit den beiden Jungs, Daniel und Sirach, vorneweg. Direkt dahinter folgten die anderen. Nadav zog wieder den Wagen, auf dem die junge Naema Platz genommen hatte. Diese fing schon nach wenigen Schritten an, die übrigen mit schönen Liedern zu erfreuen.
Sie liefen nun den Torah-Berg auf seiner Nord-West-Seite hinunter. Bald blickten sie nicht nur in ein wunderschönes Tal, das am Fuße des Torah-Berges lag. Auch erstreckte sich dahinter eine riesige, majestätisch wirkende Bergkette. Doch nach einem kurzen Schreckmoment in der Gruppe entspannte Nadav alle und teilte ihnen mit, dass diese hohen Berge nicht das Ziel ihrer Reise seien.
Ganz langsam und nicht besonders steil schlängelte sich der Weg den Berg hinunter. Die Gruppe genoss die Natur und die Gemeinschaft miteinander. Nachdem sie am Fuße des Berges angekommen waren, führte Ephraim die Gruppe in westliche Richtung. Die Landschaft war wieder einmal nicht zu überbieten. Wunderschöne Wiesen mit herrlichen Blumen und vereinzelten Bäumen verzierten das Bild.
Mit Gideon und Rinah verstanden sich alle richtig gut. Wie jeder andere von ihnen waren sie Suchende und wollte so viel wie möglich wissen. Das galt mittlerweile auch für Gideon, der zwar weiterhin nicht viel redete, aber spürbar interessiert daran war, die ganzen Zusammenhänge des Torah-Landes zu verstehen. Dann war es aber Mirjam, die neugierig eine Frage an Ephraim richtete.
„Ephraim! Was läuft eigentlich richtig gut und kann bald losgehen?“
Ephraim musste nur kurz überlegen, bis er wusste, was Mirjam meinte. „Ach ja… Bei Ilanah habe ich es erwähnt, stimmt‘s? Es geht um Rezepte. Ilanah und ihr Mann sind Experten auf dem Gebiet rund um Tempel, Priester, Stiftshütte und Opfer. Doch bisher ist das Thema bei sehr vielen noch nicht so geläufig. Darum sind wir seit Wochen an der Arbeit, Rezepte dafür zu schreiben, damit wir auch diese Lehren ans Volk bringen können.“
Die ganze Gruppe hörte diesen Ausführungen sehr gespannt zu. Schließlich hatte bis auf Nadav noch keiner von ihnen von einem solchen Vorgehen gehört.
„Die Gruppen am Fuße des Torah-Berges… Ihr wisst schon. Da wo vorgestern Mirjam verletzt wurde. Es gäbe dort nicht so viele Probleme, wenn diese Lehren über den Tempel schon im Dorf der Gemeinschaft in Form von Kuchen und Gebäck ausgegeben würden. Denn die ganzen falschen Lehrer, die dort die Menschen vom Weg abbringen, nutzen oft genau diese Wissenslücke aus. Also versuchen wir, dass schon dort die Leute viel mehr über Tempel und Priester Bescheid wissen. In ihrem eigenen Interesse sozusagen.“
Jeder hing diesen neuen und interessanten Informationen noch einige Sekunden nach. Dann äußerte sich Rinah etwas zögernd. „Also ehrlich gesagt,… mir fällt das ganze Tempel-Thema auch noch etwas schwer. Es erinnert einen doch sehr an vergangene Zeiten und an irgendwelche Naturvölker, oder?“
„Das ist ja auch tatsächlich so.“, antwortete Ephraim. „Der letzte Tempel liegt schon so lange zurück. Und in unserem modernen Kulturkreis sind Tieropfer nun wirklich nicht populär. Aber man muss auch bedenken, dass wir uns viele Jahrhunderte lang nicht mit der Torah beschäftigt und in dieser Zeit davon wegentwickelt haben. Dann erscheinen solche Dinge natürlich fremdartig. Während wir uns aber in unseren Anschauungen verändert haben, ist die Torah immer die gleiche geblieben!“
„Schaut euch die heutige Gesellschaft an!“, sprach Ephraim weiter. „Da gibt es noch ganz andere Richtlinien in der Bibel, die so genannte moderne Menschen als absolut unterentwickelt empfinden. Und das sind Richtlinien die vor einigen Jahrzehnten in der westlichen Welt noch völlig üblich waren. Viele allgemeingültige Ansichten waren viel Torah-gemäßer als heute. Das Gleiche ist beim Thema Tempel passiert – nur über viele Jahrhunderte!“
„Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir regelmäßig die Bibel studieren.“, sprach nun Nadav weiter. „Dann erst können wir sehen und erkennen, welch riesige Segnungen auf dem Tempel liegen. Sehr interessant finde ich zum Beispiel die Begebenheit, als König Salomo den ersten Tempel einweiht… wartet… Es ist eine etwas längere Stelle. Aber sie ist genial!“
Nadav kramte seine Bibel hervor, blätterte und als er die Stelle gefunden hatte, las er vor:
„Wenn dein Volk in den Krieg zieht gegen seine Feinde, auf dem Weg, den du sie senden wirst, und sie zum Herrn beten, zu der Stadt gewandt, die du erwählt hast, und zu dem Haus, das ich deinem Namen erbaut habe, so höre du im Himmel ihr Gebet und ihr Flehen und verschaffe ihnen Recht!
Wenn sie gegen dich sündigen — denn es gibt keinen Menschen, der nicht sündigt —, und du über sie zornig bist und sie vor dem Feind dahingibst, so dass ihre Bezwinger sie gefangen wegführen in das Land des Feindes, es sei fern oder nah, und sie nehmen es sich zu Herzen in dem Land, in das sie gefangen weggeführt wurden, und sie kehren um und flehen zu dir in dem Land ihrer Gefangenschaft und sprechen: Wir haben gesündigt und Unrecht getan und sind gottlos gewesen! — wenn sie so zu dir umkehren mit ihrem ganzen Herzen und mit ihrer ganzen Seele im Land ihrer Feinde, die sie weggeführt haben, und sie beten zu dir, zu ihrem Land hin gewandt, das du ihren Vätern gegeben hast, und zu der Stadt hin, die du erwählt hast, und zu dem Haus hin, das ich deinem Namen gebaut habe, so höre du im Himmel, in deiner Wohnstätte, ihr Gebet und ihr Flehen und verschaffe ihnen Recht, und vergib deinem Volk, was sie gegen dich gesündigt haben, und alle ihre Übertretungen, die sie gegen dich begangen haben, und lasse du sie Barmherzigkeit finden bei denen, die sie gefangen weggeführt haben, so dass sie sich über sie erbarmen. (1.Kö 8,44-50)
Ist das nicht eine unglaubliche Verheißung? Und all das ist verknüpft mit Jerusalem, dem Tempel-Berg und dem Tempel generell.“
„Aber…“, Rut stockte, fand dann aber doch die passenden Worte. „hat Yeshua nicht die Opfer erfüllt…?“
Jetzt ergriff Ephraim wieder das Wort.
„Aber heißt das, dass die Opfer deshalb abgeschafft sind?! Dies ist ja ein ganz typischer Einwand – was natürlich keine Kritik ist, Rut! Doch ich glaube, dahinter steckt das typische Christen-Denken, dass wir früher hatten: Die Torah sei abgeschafft, weil Yeshua ja die Torah erfüllt habe…“
„Früher ist gut…“, Gideon grinste breit. „Ich bin erst seit gestern auf diesem Kenntnisstand!“ Alle anderen mussten nun lachen.
„Im Allgemeinen geht diese Ansicht auf Matthäus 5 zurück.“, sprach Ephraim nach wenigen Augenblicken weiter. „Ihr kennt die Stelle ja. Jedem wurde dieses Wort erfüllt so stark eingeimpft. Doch gerade hier steht ja, dass eben kein Buchstabe noch ein einziges Strichlein von der Torah vergehen wird. Und das schließt nun mal den ganzen Opferdienst mit ein.
Aus diesem Grund lesen wir, dass Paulus Opfer darbrachte und weiterhin zu den Hohen Festtagen nach Jerusalem reisen wollte. Und nur mit dieser Sicht wird die Sachlage rund, dass es im messianischen Reich – also dann, wenn der Tempel wieder steht – erneut Opfer geben wird…“
Die anderen dachten nun länger über diese Worte nach. Doch in der Folge unterhielten sie sich noch länger über dieses Thema – auch während den ersten Pausen, die sie auf ihrem Weg machten und sich dabei mit ihren Lunchpaketen stärkten.
Nachdem sie einige Zeit nach Westen gegangen waren, durchschritten sie einen hellen und freundlich wirkenden Wald. Die Kinder liebten diese Gegend. Sie sammelten sich Stöcke und brachten Ephraim dazu, sich mit ihnen im Schwertkampf zu messen.
Als sie den Wald hinter sich gelassen hatten, erblickten sie vor sich eine hügelige Landschaft mit vielen Anhöhen. Als sie diesen immer näher kamen, fiel Mirjam auf, dass es wie vor dem Torah-Berg auch hier einige Weggabelungen gab. Doch sowohl Ephraim als auch Nadav wirkten ruhig, unbesorgt und sicher. Nicht ein einziges Mal blickte einer von ihnen auf eine Karte oder zögerte bei der Wahl des Weges. Sie kennen sich in dieser Gegend wohl sehr gut aus, dachte Mirjam.
Über den bisherigen Tag hinweg waren sie nur vereinzelt Menschen begegnet. Und wenn, dann waren sie durchweg freundlich und zuvorkommend. Doch nun sahen sie beim Blick auf die Hügel so einige Menschengruppen, die an verschiedenen Stellen ihren Weg nach oben suchten.
„Hier herrscht ja schon fast Hochbetrieb!“, sagte Mirjam.
„Ja, dieses Bergland wird immer beliebter – was wirklich schön ist!“, erklärte Nadav. „Mittlerweile gibt es so einige Pfade, die hier nach oben führen. Doch bisher suchen sich die meisten Wanderer auf eigene Faust einen Weg. Glaubt mir – es dauert nicht mehr lange, bis es hier viele befestigte Wege nach oben gibt. Seht ihr da oben die Gruppe mit den Pferden und dem großen Anhänger? Wir kennen sie sehr gut. Im Moment pflastern sie eine kleine Straße, damit andere es einfacher haben werden.“
„Und werden wir auch auf ihrem Weg gehen?“, fragte Rut.
„Nein. Wir haben einen anderen geplant.“, antwortete Ephraim.
„Warum?“, sagte Rut.
„Es gibt verschiedene Ansätze, dieses Bergland zu erkunden.“, sprach nun Nadav wieder. „Und jeder hat eine gewisse Berechtigung. Naja, gut. Vielleicht fast. Aber generell ist es nicht so, dass ein Weg besser ist als der andere … Wobei wenn ich genauer darüber nachdenke. Ein Weg sticht unter den anderen schon heraus…“ Nadav lachte, als er diesen letzten Satz sprach, und schaute zu Ephraim, der mit einem breiten Grinsen den anscheinenden Witz erwiderte. Die anderen schauten alle etwas irritiert, da sie natürlich nur Bahnhof verstanden.
„Lass euch einfach überraschen.“, sagte Ephraim und schloss damit das Thema ab.
Nach einigen weiteren Weggabelungen, war ihr Weg nicht mehr eben, sondern führte langsam bergauf. Die drei Kinder, die bis dahin tapfer durchgehalten hatten, liefen nun etwas langsamer und fragten nach der nächsten Pause. Nadav versprach, dass sie schon in wenigen Minuten eine Rast machen würden.
Und so war es auch. Kurz danach erblickten sie vor sich zwei verzierte Bänke, die an einem Tisch standen. Die Sitzgruppe war aus massivem Holz, fest installiert und schien noch sehr neu zu sein.
Als sich die Gruppe setzte, erfreuten sie sich zunächst an ihrem mitgebrachtem Essen und Trinken. Ephraim und Nadav blieben stehen, damit die anderen alle Platz fanden. Doch als nächstes passierte etwas, womit keiner gerechnet hatte. Der fünfjährige Sirach sah es als erstes.
„Mama! Was ist denn mit dem Tisch los? Schau mal…“
Die Oberfläche des Tisches veränderte sich ohne menschliche Einwirkung. Dunkle Striche waren erschienen, die sich verformten und nun langsam aber immer deutlicher Gestalt annahmen. Es war wie ein bewegtes, sich veränderndes Bild. Nun wurde darauf ein Mann sichtbar. Er stand umhüllt in einen Gebetsschal auf der Spitze eines Berges. Unter der Zeichnung stand in geschwungener Schrift „…ein Volk und eine Menge von Völkern soll von dir kommen…“.
Alle blickten gespannt auf den Tisch. Mirjam schaute kurz zu Nadav und Ephraim auf, die gebannt die Szene beobachteten. Doch statt auf den Tisch hatten sie ihre Blicke eher auf die Zuschauer gerichtet.
Das Bild auf dem Tisch erblasste nun. Doch die Linien huschten von neuem über die gesamte Tischoberfläche und dieses Mal erschienen vier Männer. Ein älterer Mann saß und hatte seine beiden Hände auf den Kopf zweier jüngerer Männer gelegt, die vor ihm knieten. Dabei waren seine Arme gekreuzt. Über Kopf und Schultern hatte der ältere Mann einen Gebetsschal gelegt. Miriam vermutete, dass es sich um den gleichen Mann handelte wie auf dem ersten Bild. Ein vierter Mann stand hinter den beiden jüngeren. Die Wörter „…eine Menge von Völkern…“ waren in dieser Zeichnung zu lesen.
Als nächstes veränderte sich das Bild. Die zwei jüngeren Männer erhoben sich, umarmten den älteren Mann und gingen dann aus der Bildfläche hinaus. Der vierte Mann schritt etwas in den Hintergrund und machte Platz für eine Gruppe von anderen Männern, die nun nach und nach zum älteren Mann schritten, sich vor ihm beugten und so wie zuvor die anderen gesegnet wurden. Als die vierte Person an der Reihe war, blieb das Bild stehen. Dann erschien unter der Szene ein Satz:
„Dich, Juda, werden deine Brüder preisen! Deine Hand wird auf dem Nacken deiner Feinde sein. Vor dir werden sich die Söhne deines Vaters beugen.“
Nach einigen weiteren Augenblicken, verschwamm auch dieses Bild. Anschließend war der Tisch so hell wie zu Beginn.
„Wowwww…“, platzte es dann aus Daniel, dem ältesten der Kinder, heraus. „Das war cooool!!! Können wir das nochmal anschauen???“
„Mama, was waren das für Bilder?“, fragte nun die kleine Naema und blickte hinauf zu Rinah, auf deren Schoß sie saß.
„Szenen aus der Bibel.“, antwortete Rinah. „Ich glaub, das war Jakob der seine Söhne segnete.“
„Ja, das denk ich auch. Aber warum bekommen wir das hier zu sehen?“ Rut richtete mit dieser Aussage ihren Blick an Nadav.
„Vor allem, stellt sich mir die Frage…“, schaltete sich nun Mirjam mit ein. „Was hat es überhaupt mit diesem Bergland auf sich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir hier nur einen netten Ausflug machen. Ihr beiden habt einen guten Grund, dass ihr uns hierherführt. Und die Berge haben wohl ganz viel mit Israel zu tun, oder? Israel war doch der neue Name für Jakob. Hab ich nicht Recht?“
„Wie immer hast du auch heute wieder ein gutes Gespür und analysierst hervorragend.“, antwortete Ephraim mit einem Lächeln, so dass Mirjam leicht errötete. „Doch bevor ich euch erzähle, was es mit diesem Bergland auf sich hat, erklären wir euch einige andere Hintergründe, damit wir alle auf dem gleichen Stand sind. Kommt lasst uns weiterlaufen. Das geht auch im Gehen. Aber vielleicht übernimmst du das Erzählen, Nadav.“
„Au ja!“, rief Sirach voller Überschwang und unverblümt. „Du kannst so toll Geschichten erzählen!“
Jeder schnallte sich seinen Rucksack auf und die Gruppe setzte ihren Weg nach oben fort. Gideon ging voraus und zog den Wagen mit den Kindern, die aufmerksam Nadav zuhörten, der direkt dahinter lief.
Nadav fasste in spannender und kompakter Weise die Geschichte Israels zusammen – angefangen mit Abraham, Isaak und Jakob. Es ging um die vielen Segnungen, die diese erhielten und sich später auf die Söhne und Enkel übertrugen. Speziell griff er dabei die Rollen von Juda und Ephraim heraus, da ihre Stämme zu leitenden werden sollten. Nadav berichtete über die Zeit in Ägypten, den Exodus und wie das Volk die Torah am Sinai empfangen durfte. Auf die Bedingungen für das Leben im Gelobten Land ging er besonders ein. Auch darauf wie sich das Volk in den Jahren im Land Israel verhalten hatte. Unter Josua, dann unter den Richtern und später bei den Königen.
Alle genossen Nadavs Ausführungen und merkten gar nicht, dass sie schon bald einige weitere Kilometer hinter sich hatten.
„Oh, seht!“, rief Gideon, der noch immer am Anfang der Gruppe lief. „Dort drüben sind wieder so Bänke und ein Tisch. Und selbst wenn sie nicht so wunderbar einladend aussehen würden, würde ich jetzt gerne eine Pause beantragen. Ganz schön anstrengend, diesen Wagen zu ziehen. Wie hast du das nur so lange geschafft, Schatz?!“
Rinah kam auf ihren Mann zu und umarmte ihn. „Danke fürs Ziehen, Liebling. Weißt du, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg…“
„Ich bin ganz schön stolz auf dich! Und ich bin unglaublich dankbar, dass du uns hierher gebracht hast!“
Ihr ältester Sohn Daniel war wie die andern beiden Kinder vom Wagen gesprungen und bereits zum Tisch gerannt. „Kommt schnell!! Es geht schon los!“
Alle anderen beeilten sich und setzten sich auf die Bänke, damit sie mitansehen konnten, was sich nun präsentieren sollte.
Wie erwartet erschienen auch dieses Mal Linien, die sich zu Zeichnungen und Texten verformten. Und ebenso wie beim ersten Mal handelte es von der Geschichte Israels. Dabei ging es um den Zerbruch des Königreiches Israel. Darum, wie nach König Salomo Israel, das in dieser Zeit eine Weltmacht darstellte, zu zwei Reichen wurde – eines im Norden, das andere im Süden. Außerdem darüber, wie das Nordreich, das sich aus zehn der zwölf Stämmen gebildet hatte, Änderungen an der Torah vornahm, dem Götzendienst verfiel und sich letztendlich vollständig von Gott abwandte.
Die Bilder auf dem Tisch waren faszinierend. Sie stellten mit Hilfe von wenigen Zeichnungen und einigen Worten die Zusammenhänge wunderbar dar, so dass sie nicht schwer zu verstehen waren. Auch dieses Mal griff Nadav die Thematik auf und erläuterte Hintergründe, als sie ihren Weg fortsetzten.
Nadav erzählte, wie die zehn Stämme aus dem Land Israel verbannt wurden und sich in der halben Welt zerstreuten, so dass sich die Prophetie erfüllte, in der gesagt wurde, das es zu vielen Völkern werden sollte. Und genauso wie Propheten dies vorausgesagt hatten, hatten sie auch darüber gesprochen, dass die zehn verlorenen Stämme eines Tages wieder zurückkommen und mit dem Südreich – dem Haus Juda, bzw. den Juden – erneut ein vereintes Königreich bilden würden.
Mirjam hatte bei diesen Berichten die ganze Zeit schon so ein Gefühl, worum es bei dieser Wanderung gehen würde. Und an der nächsten Rast wurde dieser Eindruck bestätigt. Die Bilder des Tischs waren dieses Mal etwas anders. Sie setzten zwar bei der Geschichte der zehn Stämme an, doch handelten sie von der Gegenwart und nicht von der Vergangenheit.
Die zehn verlorenen Stämme. Wo sind sie heute?
Sie haben von der Torah gehört, doch sie halten sie für etwas Fremdes und Unverständliches (Hos 8,12).
Sie haben das Gesetz geändert, Götzen errichtet. Neue heilige Orte, die Leviten ersetzt, neue Festtage beschlossen (1.Kö 12,25ff).
Sie sind im Exil und essen unreines Essen (Hes 4,13; Hos 9,3).
Sie entwickeln einen Kult um grüne Bäume (Jer 3,6).
WER sind sie? Und WO sind sie?
Damit endete die Abfolge der Bilder, die jeweils mit Zeichnungen verziert worden waren.
„Ich glaube, ich weiß, um wen es geht.“, sagte Rut nach einigen Momenten der Stille.
„Ja, ich bin mir auch ziemlich sicher!“ Mirjam schaute zu Nadav. „Es geht um uns und unsere Identität, oder? Gehören wir zu diesen verlorenen zehn Stämmen?“
„Es wäre logisch, ja.“, antwortete Nadav. „Aber wir können es nicht mit Sicherheit sagen. Schon die Propheten haben davon berichtet, dass Ephraim sich mit anderen Völkern vermischen wird. Und genauso ist es gekommen. Niemand kann sicher sagen, ob einer seiner Vorfahren zu einem dieser zehn Stämme gehörte. Selbst viele unter den Juden nicht, zu denen ja eine Menge aus den zehn Stämmen übergewechselt sind.“
„Und doch können wir eine Sache festhalten!“, sagte nun Ephraim. „Nichts passiert von ungefähr. Es wäre ziemlich unlogisch, wenn ein Edomiter oder einer seiner Nachfahren plötzlich sagen würde, er habe das Gefühl, unbedingt die Torah halten zu wollen. Natürlich ist das möglich und ist sicherlich auch schon passiert. Aber es ist nicht die Regel. Und das aus dem Grund, weil ins israelitische Blut ein Same gelegt worden ist. Und dieser Same geht nun nach vielen Jahrhunderten auf. Plötzlich wachen auf der ganzen Welt verstreut Menschen auf und fühlen sich dazu berufen, die Torah zu halten. Das hat es so noch nie gegeben. Aber es ist leicht erklärbar, wenn man weiß, dass die Propheten genau dies vorausgesagt haben. Menschen wollen plötzlich die Festtage aus der Bibel und den Schabbat feiern. Warum? Weil ein Same aufgeht, der jahrhundertelang auf diesen Augenblick gewartet hat. Alles passiert zu einem göttlichen Zeitpunkt. Und nur wenn tatsächlich dieser Same zerbricht und zu keimen und wachsen beginnt, kann es zu dieser Restaurierung kommen.“
„Ich verstehe…“, warf Mirjam ein. „Darum sind so viele Menschen nicht empfänglich für diese Botschaften…“
„Das heißt also, wenn wir das Bedürfnis in uns haben, die Torah zu erforschen, dann geschieht das, weil wir Nachkomme der zehn Stämme sind? Hab ich das richtig verstanden?“, fragte Rinah.
„Ja! Zumindest ist es sehr wahrscheinlich. Aber eine Aussage über andere Menschen lässt sich nur schwer treffen. Denn es besteht ja die Möglichkeit, dass ein Same in ihnen noch aufgehen wird.“, antwortete Nadav. „Und zudem gibt es auch Millionen von Menschen, die jüdische Vorfahren haben. Denn auch bei diesen haben viele ihre Identität aufgegeben – oder sie wurden dazu gezwungen.“
„Übrigens passiert dieser Aufbruch nicht nur unter Christen.“, erklärte Ephraim. „Auch unter Muslimen oder in anderen Religionen gibt es eine Torah-Revolution – und damit auch eine Offenbarung über die Stämme. Ja, selbst im Judentum gibt es eine riesige Bewegung von Juden, die wieder beginnen nach der Torah zu leben.“
„Wow!“, sagte nun Rinah. „Mit hilft dieses Verständnis von diesem Samen total! Es macht total Sinn und nun wird endlich das Bild runder. Es erklärt, warum plötzlich so viele an der Torah interessiert sind – und andere wiederum nicht.“
„Ja, so geht es mir auch!“, antwortete ihr Mann, Gideon. „Vor allem zeigt es mir, dass es an Gott liegt, ob und wann er einen solchen Samen aufgehen lässt. Ich habe es ja selbst erlebt. Lange Zeit hat mich das Thema überhaupt nicht tangiert. Aber dann plötzlich ist etwas in mir gewachsen.“
Gideon zwinkerte bei diesem Wortspiel.
„Es macht also keinen Sinn, auf andere einzureden und ihnen etwas aufdrücken zu wollen.“, dachte Mirjam laut. „Gott kann – natürlich auch mit Hilfe von anderen Menschen – einen Samen aufgehen lassen. Aber wenn es noch nicht an der Zeit ist und der Gegenüber nichts darüber hören möchte, lässt man das Thema am besten sein… Jetzt verstehe ich, warum Samira jeden Tag so glücklich auf die große Straße gehen kann. Sie versucht nicht Menschen zu überzeugen, sondern sie sucht Menschen, die bereit sind…“
Die Gruppe war nun Feuer und Flamme für dieses Thema. Jeder war begeistert darüber, dass diese neuen Erkenntnisse das große Bild so rund werden ließen. Doch als Gideon sah, dass die kleine Naema auf dem Schoß von Rinah eingeschlafen war, stellten sie überrascht fest, dass die Sonne schon sehr tief stand.
„Ich glaube, heute werden wir in den Zelten übernachten. Kommt, wir bauen sie auf. Es wird schon bald dunkel.“ Ephraim führte die Gruppe zu einem kleinen Platz, der nur wenige Meter hinter dem letzten Ort mit dem Tisch und den Bänken stand, und perfekt zum Zelten geeignet war. Ein kleiner Bach mit frischem, klarem Wasser lief in unmittelbarer Nähe entlang. Als sie die drei Zelte errichtet hatten war es bereits dämmrig. Gideon sammelte mit seinen Söhnen, Daniel und Sirach, Feuerholz, was sie anschließend zu einem Lagerfeuer benutzten. Für die Jungs war das alles ein riesiges Abenteuer. Doch auch für Mirjam fühlte es sich so an. Sie waren auf dem Weg zu den Wurzeln. Und bisher waren sie ja noch am Anfang dieses Berglandes.
…
Zurück zu den Wurzeln. Mehr in Teil 10…
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Mariusz86
20. April 2017 @ 1:10
Shalom Hosea,
die Serie Ephraim auf dem Weg, ist so schön und lebendig erzählt, beim lesen könnte man sich vorstellen live in dieser Erzählung zu sein.
Ich weiß nicht wie viele Teile diese Serie haben wird, bis sie fertig ist. Aber wenn es so weit ist, besteht die möglichkeit es in Buchform zu erwerben ?
Grüße und Segen im Herrn,
Mariusz
Hosea Ben Zion
26. April 2017 @ 15:23
Shalom Mariusz,
Danke für deinen Kommentar! Ja, die Idee mit dem Buch wurde schon ein paar Mal an mich heran getragen. Mal schauen. Ist die Frage, ob sich das lohnt usw.
Reichen Segen,
Hosea