Ephraim auf dem Weg – 15. Am großen Fluss
– Beachte: Dies ist Teil 15 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile –
Mirjam war mit einem Mal hellwach. Sie öffnete ihre Augen und schaute an das Zeltdach. Sofort waren die Erinnerungen präsent. Ist das alles real, dachte sie. Hatten sie gestern tatsächlich das Verheißene Land gesehen? Würde ihr Traum nun wahr werden? Vielleicht sogar schon heute?
Schnell zog sich Mirjam etwas über und krabbelte aus ihrem Zelt. Und tatsächlich…
Der Blick auf die Landschaft war atemberaubend! Sie ging langsam ein paar Schritte, so dass sie eine noch bessere Aussicht hatte. Es war herrlich und sie spürte wie ihr Herz Freudensprünge machte – es war das gleiche Gefühl wie gestern Abend. Sie hatten auf einem kleinen, flachen Plateau übernachtet, von wo aus sie viele Kilometer weit schauen konnten.
Ihr Blick glitt über Wiesen und Wälder. Dabei fiel ihr ein etwas größerer Fluss auf, der sich in nicht allzu großer Entfernung entlangschlängelte.
So stand Mirjam minutenlang dort und genoss die Sicht und dieses innere Gefühl der Aufregung.
Dann ging langsam die Sonne auf und die ersten Sonnenstrahlen trafen das Land und ließen es so in ein herrliches Rot tauchen. Es war der perfekte Moment. Staunend blickte sie auf das fantastische Naturspektakel.
Mirjam war so sehr davon gefesselt, dass sie das Rascheln eines Zeltes und die anschließenden Schritte hinter sich zwar wahrnahm, aber nicht weiter beachtete.
„Das ist wundervoll!“, sagte eine vertraute Stimme hinter ihr.
„Ja, das ist es!“, antwortete Mirjam. Nach einigen Augenblicken sprach sie weiter. „Ist es dort auch so schön wie es jetzt wirkt? Was wird uns dort erwarten, Ephraim?“
„Um ehrlich zu sein… Ich bin auch sehr gespannt, was passieren wird. Ich kenne niemanden, der diesen Weg bisher gegangen ist.“ Ephraim richtete seinen Blick nach oben. Dort flogen erneut einige Neshkan-Adler in die Richtung des Verheißenen Landes. „Zumindest zu Fuß…“ Sie verfolgten mit ihren Augen die Vögel, die so majestätisch und herrlich wirkten. Dann beantwortete Ephraim Mirjams Frage, indem er langsam und gedankenverloren redete. „Ja, es ist wirklich schön dort! Ganz anders als man denkt. Das Verheißene Land ist kein normales Land. Es prägt und verändert einen auf eine ganz erstaunliche Art und Weise. Trotzdem ist nicht alles perfekt, aber auch das Land ist in Veränderung.“
„Hast du dich eigentlich schon einmal gefragt, warum man hier in diesem Land die Torah lernt? Warum nicht im Verheißenen Land?“
„Oh, im Verheißenen Land wird viel Torah gelehrt und gelernt. Mehr als du dir vorstellen kannst. Aber ich denke, dass es wichtig ist, dass man einige Torah-Prinzipien lernen muss, bevor man ins Verheißene Land darf. Es heißt doch sogar in der Torah, dass das Land seine Bewohner ausspeit, wenn es nicht in den Satzungen lebt. Insofern muss man sich wohl genügend vorbereiten und lernen.“
Schweigend standen die beiden noch einige Minuten dort und weilten ihren Gedanken. Mirjam fragte sich im Stillen, ob sie denn schon genug vorbereitet seien.
Es dauerte nicht lange, bis auch die anderen der Gruppe wach wurden und aus ihren Zelten gekrochen kamen. Einer nach dem anderen kam zu Mirjam und Ephraim und genoss die Aussicht. Jeder begann zu schwärmen und die freudige Erwartung war greifbar.
Schon bald legten sie los und bereiteten sich ein Frühstück von den mitgebrachten Sachen von Jedediah und Neria zu. Was für ein Segen waren diese beiden Menschen doch für sie gewesen. Rinah und Gideon berichteten über ihre gemeinsame Zeit, die sie am gestrigen Morgen noch mit ihnen hatten. Viele Fragen – vor allem über Ehe und Familie – konnten sie ihnen beantworten, worüber sie unendlich dankbar waren.
„Mama!“ Die kleine Naema kam zu ihrer Mutter und unterbrach deren Ausführungen. „Gehen wir heute eigentlich in das schöne Land?“ Und mit dieser Frage lenkte sie die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf ihr heutiges, gemeinsames Ziel. Es war sozusagen der Startschuss. Jeder hatte fertig gegessen und so packten sie schnell ihre ganzen Sachen zusammen. Mit großer Vorfreude waren sie zu Werke und schon bald waren sie startklar.
Mirjam war wie die anderen auch viel in Gedanken bei dem, was sie heute alles erwarten könnte. Sie malte sich aus, wie schön es im Verheißenen Land sein würde. Alle waren sie ermutigend, dass sie ihr Ziel nun so nah vor Augen hatten.
Dov war am gestrigen Abend noch weitergezogen. Er hatte ihnen erzählt, dass er in der Nähe ein eigenes kleines Lager aufgebaut hatte. Nadav berichtete den anderen, dass er mit Dov ausgemacht hatte, dass sie sich heute am frühen Nachmittag mit ihm unten am Fluss treffen würden.
Der Weg führte sie zunächst bergab und an einem kleinen Wäldchen entlang. Nadav erklärte ihnen, dass der große Fluss vor ihnen die Grenze zum Verheißenen Land markieren würde.
„Das heißt, wir müssen uns wohl überlegen, wie wir auf die andere Seite kommen können, oder?“, sagte Rinah.
„Schwimmen ist kein Problem!“, rief Mirjam mit einem scherzenden Unterton. „Hauptsache kein Schlamm!“
Die anderen lachten. Doch vor allem freuten sie sich darüber, dass Mirjam den gestrigen Tag so gut weggesteckt hatte.
Als sie zum Fluss kamen, hatten sie auch das kleine Wäldchen hinter sich gelassen. Sie schauten sich um und waren erstaunt, Flussabwärts eine größere Menschenmenge zu sehen. Damit hatte keiner von ihnen gerechnet.
„Oh, was gibt’s denn da? So viele Menschen…“, fragte Rinah.
„Seltsam! Keine Ahnung, wer das sein könnte! Ich hätte nicht gedacht, dass hier so viele andere Leute sind!“, sagte Nadav. „Aber ich denke, wir sollten erstmal auf Dov warten.“
Es war um die Mittagszeit und so machten sie es sich im Rasen bequem. Die Kinder suchten mit Gideon und Shimon Steine und warfen sie ins Wasser. Mirjam und Rinah blickten immer wieder auf die Menschenmassen und mutmaßten, was dies zu bedeuten hätte.
Nadav stand schon bald wieder auf und suchte mit seinen Augen die Gegend nach Dov ab. „Hoffentlich kommt er auch. Wer weiß, wie zuverlässig er ist.“
„Sei nicht ungeduldig, Nadav.“, entgegnete Ephraim. „Er wird schon noch kommen.“
Und so war es dann auch. Nach einer weiteren halben Stunde rief Nadav erleichtert. „Da! Ich sehe ihn. Das muss er sein…“
Dov kam mit seinem typischen Grinsen auf die Gruppe zu. Heute hatte er einen großen Rucksack auf seinem Rücken. „Na, Leute. Alles gut bei euch? Schauen wir mal, was wir heute alles anrichten können, was?“
Sie begrüßten einander, doch schon direkt danach fragte Rinah bei Dov nach. „Weißt du, was dort drüben ist?“
„Das ist die Grenzkontrolle.“, erklärte Dov. „Von dort kann man mit einem Boot hinüber auf die andere Seite fahren. Wenn es einem erlaubt wird. Und die Gruppe da… Naja. Das wird wohl das Gefolge um Ebenezer sein. Der treibt hier schon länger sein Unwesen und versammelt immer mehr Menschen um sich.“
„Ach so…“, sagte Mirjam. „Ich glaube, ich brauch da noch ein paar mehr Informationen. Was meinst du mit Grenzkontrolle? Wer bestimmt denn da, wer ins Verheißene Land hinein darf und wer nicht?“
„Na, die Juden.“, antwortete Dov, als wäre es selbstverständlich.
„Warum denn gerade Juden?“, wollte Rut wissen.
„Nun, das ist schon logisch.“, erklärte nun Nadav. „Das Verheißene Land wird derzeit von Juden regiert und verwaltet. Insofern bestimmen sie, wer hinein darf und wer nicht. Sie haben auch die Regeln mit den Neshkan-Adlern gemacht.“
„Oh, das war mir so gar nicht klar!“, sagte Mirjam. „Und, Dov, weißt du, auf was sie dort bei der Grenzkontrolle achten? Also, wen lassen sie hindurch und wen nicht?“
„Hm, das wechselt oft.“, erklärte Dov. „Also wenn du Jüdin bist, kommste da ohne Probleme durch. Aber wenn nicht… Naja, ist halt nicht so einfach…“
Es war regelrecht zu spüren, dass diese Worte die Begeisterung in der Gruppe deutlich minderten. Viele Fragen schwirrten in ihren Köpfen und Zweifel entstanden. Würde es ihnen erlaubt werden, in das Verheißene Land zu kommen?
„Also auf!“, unterbrach Dov das Schweigen. „Lasst uns hingehen. Mal sehen, was heute so passiert.“
Sie setzten ihre Rucksäcke auf und gingen los – dem Flusslauf folgend auf die Grenzkontrolle mit der großen Menschenmenge zu.
Auf dem Weg dorthin fing Rut an, Dov auszufragen.
„Dov, warum bist du gestern eigentlich in den Sumpf gekommen?“
„Nenn es Eingebung.“ Wieder breitete sich ein Lächeln über Dovs Gesicht aus. „Nein, ehrlich. Ich weiß es nicht. Irgendwie dachte ich gestern, ich könnte ja mal wieder ein wenig im Sumpfgebiet spazieren und die Texte dort studieren. Das mache ich eigentlich nicht so oft. Aber gut, gestern hat es sich ja gelohnt…“
„Und was machst du sonst hier die ganze Zeit?“, fragte Rut weiter.
„Vor einigen Wochen bin ich mit meinem Bruder hier angekommen. Wir wussten, dass es in diesem Gebiet weitergehen muss. Doch es ist wie eine Sackgasse. Mit Ebenezer – ihr werdet ihn sicherlich gleich kennenlernen – waren wir nicht so auf einer Wellenlänge…“ Wieder dieses Grinsen. „Und so erkunden wir nun weiter und klappern die Möglichkeiten ab. Mein Bruder ist seit ein paar Tagen den Weg noch weiter Flussabwärts gegangen, um dort Möglichkeiten zu suchen. Ich muss gleich mal schauen, ob er eine Nachricht hinterlassen hat. Wir haben dort drüben ein kleines Versteck. Aber wir hatten von Anfang an das gleiche Ziel wie ihr: Die andere Seite des Flusses.“
Als sie der Menschengruppe immer näher kamen, sahen sie, dass diese sich nun in Bewegung gesetzt hatte und nun Flussaufwärts in ihre Richtung gingen. Je näher die kamen, desto mulmiger wurde Mirjam. Die Kommentare Dovs ließen darauf schließen, dass sie mit Vorsicht zu genießen seien.
„Schaut!“, sagte Nadav. „Die scheinen richtig wütend zu sein!“
Mirjam schätzte, dass die Gruppe aus etwa 25 Männern und Frauen bestand. Kinder konnte sie keine erkennen. Es war nicht zu übersehen, dass die Leute sehr aufgebracht waren. Lautstark schimpfend kamen sie näher.
Ihre Stimmen verebbten allerdings allmählich, als sie nach und nach sahen, dass sie auf die Gruppe um Mirjam und die anderen zukamen. Ein großgewachsener Mann ging an der Spitze. Schon aus einiger Entfernung musterte er sie. Dov erklärte den anderen, dass es sich bei dem Mann um Ebenezer handelte.
Dann war es soweit und die zwei Gruppen begegneten sich. Ephraim und Ebenezer gingen aufeinander zu und begrüßten sich. Nadav und Dov standen unmittelbar neben Ephraim.
„Willkommen, Freunde!“, sagte Ebenezer mit lauter Stimme. „Woher kommt ihr? Seid ihr etwa durch den Sumpf gelaufen?“ Der Mann lachte laut, als er dies sagte. Er hatte ein breites Gesicht und war auch sonst etwas rundlich. Durch seine Größe war dies allerdings nicht so offensichtlich.
Ephraim antwortete nicht direkt auf seine Frage. „Ich heiße Ephraim. Und das sind meine Freunde…“
Bevor Ephraim weiterreden konnte, unterbrach ihn Ebenezer.
„Lasst mich raten… Ihr wollt ins Verheißene Land, was?“ Wieder lachte der Mann laut. Auf Mirjam wirkte der Mann eher abschreckend.
„Nun, da muss ich euch enttäuschen!“ Mit einem Mal verschwand das Lachen aus Ebenezers Gesicht. Mit festen Augen blickte er Ephraim an. „Die lassen uns nicht rein! Und euch mit Sicherheit auch nicht! Ihr braucht es gar nicht versuchen!“
„Wer lässt uns nicht rein?“, wollte Rut wissen.
„Na, diese Juden!“, Ebenezers schaute so verächtlich, als er dies sagte, dass es Mirjam den Magen zusammenzog. „Sie haben uns sogar gedroht, sollten wir nicht von der Grenzkontrolle verschwinden. Pah…“
„Wahrscheinlich seid ihr mal wieder ausfällig geworden, oder?“, Dov grinste Ebenezer frech an.
„Was willst du schon wieder, Junge?“, schnaubte Ebenezer in Richtung Dov. Ephraim versuchte zu schlichten, legte seine Hand auf Dovs Brust und schob ihn langsam etwas zurück.
„Ja, wir wollen tatsächlich ins Verheißene Land. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?“, sagte Ephraim.
„Keine Chance! Sie lassen nur Juden rein.“, sagte nun eine Frau, die sich an Ebenezers Seite gestellt hatte. Sie blickte zu Rut und sah ihren enttäuschten Gesichtsausdruck. „Macht euch keine Sorgen. Sie werden eines Tages schon erleben, was für einen großen Fehler sie gemacht haben! Es wird sie teuer zu stehen kommen…“
„Freunde…“ Ebenezer holte tief Luft und schaute Ephraim tief in die Augen. „Schließt euch uns an! Wir werden uns das nicht gefallen lassen und uns zur Wehr setzen! Wir sind Teil der Zehn Stämme. Und so gehört auch uns das Land. Wir haben ein Recht darauf!“
Mirjam sehnte sich den Augenblick herbei, in dem sie weitergehen und diese Leute hinter sich lassen würden. Sie bewunderte Ephraim, dass er so ruhig und höflich bleiben konnte.
„Vielen Dank für euer Angebot, Ebenezer!“, sagte Ephraim. „Wir müssen uns zunächst beratschlagen. Und wir wollen auch erst nochmal selbst mit der Grenzkontrolle reden.“
Ebenezer lachte wieder auf. „Na dann, viel Glück!“
Nun schaltete sich auch Nadav ein. „Wie seid ihr eigentlich hierhergekommen? Auch durch den Sumpf?“
Mit einem breiten Grinsen antwortete wieder die Frau neben Ebenezer. „Nein! Sicher nicht… Aber es gibt immer irgendwelche Wege, wenn man sie sucht.“
„Sie haben die Neshkan-Adler manipuliert.“, sagte nun Dov. „Sie sind noch im Verheißenen Land von ihnen heruntergesprungen. Oder sie haben versucht, sich im Verheißenen Land vor ihnen zu verstecken.“
Das Lachen in Ebenezers Gesicht verschwand, während Dov wieder sein Grinsen aufsetzte und weiterredete.
„Tja, nur hat das alles wohl nicht geklappt. Sie wurden gefunden und auf dem schnellsten Weg wieder rausgeschmissen. Jetzt sitzen sie hier fest. Und, wenn ihr noch mehr wissen wollt… Einige von ihnen sind schon auf dem neuen Weg gekommen. Oben im Norden versuchen sie gerade einen Weg anzulegen – von der anderen Seite des großen Grabens aus durch das Gebirge. Ist ziemlich gefährlich, wie ich gehört habe, oder?“
„Du bist ganz schön vorlaut für dein Alter, kann das sein?“, fauchte Ebenezer Dov drohend an. Dann drehte er sich zu den anderen Leuten um. „Kommt Leute, wir gehen weiter!“
Am Schluss schaute er noch einmal zu Ephraim. „Überlegt es euch gut. Aber wenn ihr euch uns anschließen wollt, dann ohne diesen Jungen da.“
Ebenezer drehte sich weg und die Gruppe setzte ihren Weg Flussaufwärts fort.
„Endlich sind die weg!“, sagte Rinah. „Die sind mir wirklich nicht geheuer.“
„Ja, das stimmt!“, antwortete Rut.
„Aber hab’n die recht?“ fragte Shimon, der sich während des Gesprächs weit im Hintergrund gehalten hatte. „Dürf’n wirklich nur Juden rein? Sind dann wieder mal ziemlich in ‘ner Sackgasse.“
„Das werden wir jetzt herausfinden!“, entgegnete Ephraim.
Als sie auf die Grenzkontrollen zugingen, stellten sie fassungslos fest, dass hier einiges los gewesen sein musste. Steine hatten das kleine Häuschen getroffen, sogar Scheiben eingeschlagen. Zwei Wachleute waren dabei, Ordnung zu schaffen. Sie sammelten die Steine ein und warfen sie in den Fluss. Sie sahen, wie ein anderer Mann in dem Haus war und dort hörbar Scherben zusammenkehrte. Dann kam ein vierter aus dem Haus heraus. Zu ihrem Erschrecken hielt er sich ein Tuch an die Stirn, an dem einige Blutflecken zu sehen waren. Außerdem war seine Uniform an den Armen eingerissen.
„War das Ebenezer mit seiner Gruppe?“ fragte Rinah den Wachmann mit der Wunde am Kopf.
„Ja, warum? Wollt ihr etwa auch Ärger machen?“, sagte dieser.
„Nein, nein! Natürlich nicht!“, antwortete Rinah.
Dem Wachmann fielen die drei Kinder ins Auge und sofort entspannte sich sein Gesichtsausdruck. „Tut mir leid! Ich wollte nicht so unhöflich sein. Aber ihr seht ja, was hier passiert ist. Es ist unglaublich! So schlimm war es noch nie. Vor allem nicht hier an dieser Station. Wir werden schnell die Sicherheitsvorkehrungen erhöhen müssen…“
„Was sind denn die derzeitigen Einreisebedingungen?“, fragte Ephraim.
„Seid ihr Juden?“, wollte der Wachmann wissen.
„Ich bin Jüdin!“, rief Mirjam.
„Und hast du Papiere? Kannst du dich als Jüdin ausweisen?“
„Äh. Nein… Meine Großmutter war Jüdin. Aber Papiere habe ich nicht.“
„Dann tut es mir leid! Einwandern dürfen nur Juden. Entschuldigt mich, ich muss mir jetzt erstmal einen Verband anlegen.“ Der Mann drehte sich um und verschwand im Wachhäuschen.
Er hinterließ eine ernüchternde Gruppe.
Rut kamen die Tränen. „So weit sind wir gegangen. So viel haben wir investiert. Teilweise haben wir unser Leben riskiert. Und jetzt so was…“
„Aber warum?“, fragte Gideon. „Ich verstehe das nicht. Wenn wir von den zehn Stämmen sind, dann sind wir doch ihre Brüder. Warum lassen sie uns dann nicht rein?“
Sie wandten sich von der Grenzstation ab und ließen sich einige Meter davon entfernt frustriert und enttäuscht ins Gras fallen.
„Wie können die nur solche Regeln festlegen… Das ist mir unbegreiflich.“, sagte Rinah.
„Ich denke, sie werden schon ihre Gründe haben, oder?“ Mirjam versuchte Verständnis aufzubringen. Doch auch sie war zutiefst traurig.
„Ja, du hast Recht, Mirjam.“, antwortete Nadav. „Ebenezer würde ich auch nicht in mein Land reinlassen wollen.“
„Nur damit wir das alle klar haben…“, sagte Ephraim. „Die Option, dass wir uns Ebenezer anschließen, ist für mich definitiv keine!“
Alle anderen bestätigten dies überzeugend. Mirjam hatte damit gerechnet. Und doch war sie sehr erleichtert darüber.
„Dov, welche Optionen kennst du?“, wollte Ephraim wissen.
Dov schaute überrascht auf. Offensichtlich fühlte er sich geehrt, dass in dieser Situation Ephraim nach seiner Meinung fragte. „Also den Norden können wir getrost außer Acht lassen. Dort ist es nicht schön. Es ist gefährlich. Sehr viel Wachpersonal. Auch die Juden wissen von dem Weg, der über das Gebirge gebaut wurde. Sie sind sehr wachsam, indem sie die andere Seite des Flusses nicht außer Acht lassen. Auf eigene Faust über den Fluss brauchen wir es übrigens auch nicht versuchen.“ Dovs berühmtes Grinsen huschte über sein Gesicht. „Das habe ich schon ausführlich ausprobiert. Keine Chance.“ Dann schaute er wieder ernst. „Einige Leute haben berichtet, dass es einen Weg im Südosten gibt. Mein Bruder erkundet ihn ja derzeit. Aber soweit wir gehört haben, soll er extrem steinig und schwierig zu laufen sein. Jeder der zumindest schon mal etwas davon gehört hat, hat uns davon abgeraten, weil er sehr, sehr lange ist und im Endeffekt weiß keiner, ob er tatsächlich ins Verheißene Land führt.“ Er dachte kurz nach, bevor er weitersprach. „Nun, andere Möglichkeiten kenne ich nicht. Natürlich gibt es die Meinung, die von vielen vertreten wird, dass wir uns gar nicht darum kümmern sollten, weil Gott ja eines Tages alles für uns tun wird. Wir bräuchten dann nur warten. Das kann jeder sehen wie er will, aber meine Vorgehensweise ist das definitiv nicht! Das ist mir zu passiv. Ihr kennt ja bestimmt die Rechnungen mit den 2730 Jahren, oder? Diese Zeit ist abgelaufen und die verlorenen Stämme dürfen wieder zurück – aus Gottes Sicht – also müssen wir den Weg suchen und gehen.“
„Ja, mir geht es genauso. Mit dieser Meinung kann ich auch nicht viel anfangen.“, sagte Ephraim nachdenklich. Dann sprach Dov weiter.
„Natürlich können wir mit Hilfe der Neshkan-Adler rein. Aber dann ist man nur für ein paar Tage dort… Tja. Und eine andere Option fällt mir auch nicht ein.“
„Gut. Ich werde definitiv nicht aufgeben. Soviel steht fest!“, sagte Ephraim und stand auf. „Es hilft also alles nichts. Ich werde nochmal mit dem Grenzposten reden. Man soll ja niemals nie sagen…“
„Warte, ich komme mit.“, sagte Nadav und lief Ephraim nach, der schon die ersten Schritte zurück zur Grenzstation gegangen war. Die anderen blieben zurück und warteten.
Es dauerte eine ganze Weile. Allein das empfand Mirjam schon als ein gutes Zeichen. Denn das hieß, dass die beiden nicht sofort abgewiesen worden waren.
Als dann Ephraim und Nadav zurückkamen, konnte Mirjam ihre Gesichtsausdrücke nicht interpretieren. Sie sahen weder hoch erfreut aus, noch waren sie am Boden erschlagen.
„Und, was habt ihr erreicht?“, rief sie ihnen zu. Auch alle anderen warteten gespannt auf die Antwort.
„Immerhin etwas!“, antwortete Ephraim. „Es bleibt dabei. Einwandern dürfen nur Juden! Da gibt es nichts dran zu rütteln.“
„Aber…???“, fragte Rut.
„Wir dürfen ins Verheißene Land – aber in jedem Fall nur zeitlich begrenzt.“, erklärte Nadav. „Nachdem der Wachmann unsere ehrlichen und aufrichtigen Absichten erkannt hat – wir haben uns sehr bemüht, freundlich zu sein – haben er und sein Mitarbeiter uns aufs Gründlichste ausgefragt. Sie wollten wissen, woher wir kommen, welche Orte wir besucht haben, wie wir zu Juden stehen, ob wir jüdische Freunde haben, wie wir hierher an den Fluss gekommen sind, woher wir einander kennen, und noch vieles mehr…“
Nadav machte eine kleine Pause. Dann sprach er weiter. „Nach langem Hin und Her hat er uns 10 Wochen gegeben. Das heißt, wir dürfen zehn Wochen ins Verheißene Land!“
„Wow! Das ist doch schon mal was…“, rief Mirjam begeistert.
„Ich weiß nicht…“, entgegnete Rut. „Ein bisschen enttäuschend ist das schon.“
Auch die anderen wussten nicht so recht, ob sie sich freuen sollten oder nicht.
„Leute! Nich so negativ!! Is‘ doch prima!“, rief Shimon. „Wenn Gott uns schenkt, zehn Wochen im Verheißen’n Land zu sein, nehm‘ ich das Geschenk an!“
„So sehe ich das auch!“, stimmte Gideon mit ein. „Wir waren noch nie dort und ich freue mich, es zu sehen…“
Ephraim lehnte sich nachdenklich auf seinen Wanderstab. „Nun, es gibt nicht viele Leute, denen solch ein Angebot gemacht wird. So muss man das auch sehen. Aber es wurden uns noch weitere Auflagen gemacht.“
„Oh, welche?“, fragte Mirjam.
„Wir dürfen keine Rucksäcke, kein Gepäck mitnehmen.“, erklärte Ephraim. „Dann müssen wir uns jede Woche einmal bei einer Verwaltungsstelle melden und dort berichten, was wir getan haben und mit dem wir Kontakt hatten. Und…“
„Was noch?“, fragte Rinah.
Ephraim blieb stumm und schaute gedankenverloren ins Leere.
Nadav ergänzte Ephraims Ausführungen. „Die Wachmänner haben ganz explizit darauf bestanden, dass Ephraim seinen Wanderstab nicht mitnehmen dürfe. An diesem Punkt ließen sie rein gar nicht mit sich verhandeln.
…
Weiter geht es in Teil 16…
Ein Blick auf die Karte:
- Danke und Schalom – von Hosea Ben Zion - 26. Juli 2017
- Gesundheit, Sehnsucht und eine tiefere Beziehung – Wie sieben Früchte dein gestliches Leben stärken! (Teil 7) - 19. Juli 2017
- Gesundheit, Sehnsucht und eine tiefere Beziehung – Wie sieben Früchte dein gestliches Leben stärken! (Teil 6) - 18. Juli 2017
Bisherige Teile
-
7. Januar 2017
Ephraim auf dem Weg – 1. Die unscheinbare Tür
Download Artikel als PDF „Schaut mal diese Tür! Die sieht irgendwie besonders aus…“ Mirjam hielt Kara am Arm und zeigte auf die andere Straßenseite zu einer unscheinbaren, hölzernen Tür, die in eine zwei Meter hohe Mauer eingelassen war. Viele Menschen liefen an der Tür vorbei, doch keiner von ihnen warf auch nur einen Blick auf [...] -
3. Februar 2017
Ephraim auf dem Weg – 2. Aarons Café
Download Artikel als PDF – Beachte dies ist Teil 2 von “Ephraim auf dem Weg” – Hier gehts zu Teil1: Die unscheinbare Tür – Mirjam kam sich vor wie in einem Traum. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass eine solch herrliche, neue Welt hinter der Tür wartete. Die Luft war klar und rein, die Sonne [...] -
7. Februar 2017
Ephraim auf dem Weg – 3. Das Dorf der Gemeinschaft
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 3 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – „So harmonisch dieses Dorf auch wirkt…“, Ephraim blickte mit verengten Augen auf das idyllische Dorf, das sich vor ihren Augen erstreckte. „Es hat auch seine Schattenseiten! Hab gut Acht, wem du deine Aufmerksamkeit schenkst und wem [...] -
14. Februar 2017
Ephraim auf dem Weg – 4. Der Bücher-Pavillon
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 4 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – „Hallo, da seid ihr ja!“ Nadav lief auf die beiden Frauen zu und begrüßte sie herzlich. „Na, da bin ich ja mal gespannt, was ihr sagen werdet. Ich glaube, es wird ein richtig schöner Ausflug. Das [...] -
21. Februar 2017
Ephraim auf dem Weg – 5. Die Reise beginnt
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 5 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Mirjam konnte es kaum erwarten. Sie überlegte gemeinsam mit Rut, was sie mitnehmen wollten. Nadav hatte ihnen eine kleine Liste mit Dingen gegeben, die sie nicht vergessen sollten. „Hast du eigentlich auch schon herumgefragt, ob nicht [...] -
28. Februar 2017
Ephraim auf dem Weg – 6. Ephraims Geschichte
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 6 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Als Mirjam erwachte, dämmerte es bereits. Mit geschlossenen Augen lag sie auf der Couch und dachte nach. Langsam kamen die Erinnerungen zurück. Die Reise. Boas. Die Männer, die sie verfolgt hatten. Und der Stein, der sie [...] -
7. März 2017
Ephraim auf dem Weg – 7. Auf dem Torah-Berg
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 7 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Die Sonne strahlte. Ein kleines Lüftchen wehte. Es waren die perfekten Bedingungen für eine Bergtour. Rut, Mirjam, Nadav und Ephraim genossen die herrliche Landschaft und Nadav erwies sich wieder einmal als hervorragender Führer und Begleiter. Mit [...] -
14. März 2017
Ephraim auf dem Weg – 8. Gemeinsames Lernen
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 8 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Die Stunden auf dem Torah-Berg vergingen wie im Flug. Nadav begleitete die Familie um Gideon und Rinah. Und so zog Mirjam gemeinsam mit Rut zur großen Erkundungstour los. Sie hörten Vortragenden zu, lernten Menschen kennen und [...] -
21. März 2017
Ephraim auf dem Weg – 9. Der Weg zu den Wurzeln
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 9 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Mirjam und Rut genossen jeden Augenblick auf dem Torah-Berg. Noch lange sprachen sie mit Ilanah und staunten über ihr Wissen und ihre Fähigkeit, diese Erkenntnisse so verständlich weiterzugeben. Insofern sie waren etwas enttäuscht, dass es schon [...] -
28. März 2017
Ephraim auf dem Weg – 10. Der Berg der Identität
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 10 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Nach und nach kroch einer nach dem anderen aus seinem Zelt heraus. Es war früh am Morgen und noch etwas frisch. Doch nachdem das Feuer wieder entfacht war und die ersten Tassen Tee ausgeschenkt waren, wurden [...] -
4. April 2017
Ephraim auf dem Weg – 11. Ein Graben tut sich auf
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 11 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – „Mirjam! Wach auf!“ Eine gedämpfte Stimme weckte Mirjam aus dem Schlaf. Langsam rührte sie sich und ihr Verstand wurde klarer. „Was ist los? Wer ist da?“ fragte sie schlaftrunken. „Ich bin’s Ephraim. Steh auf! Ich muss [...] -
9. April 2017
Ephraim auf dem Weg – 12. Auf der anderen Seite
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 12 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Nadav konnte nicht schlafen. Er wälzte sich von der einen Seite auf die andere. Eigentlich hätte er sehr müde sein müssen. Sie waren an diesem Tag viel gelaufen, nachdem sie am Morgen ihren zweiten Lagerplatz im [...] -
24. April 2017
Ephraim auf dem Weg – 13. Licht ins Dunkel
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 13 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Nadav saß an einem Schreibtisch, hatte einen Stift in der Hand und war über ein Buch gebeugt. Na das waren mal intensive Tage! Ich bin richtig froh, dass ich jetzt Zeit gefunden habe, um die Erlebnisse [...] -
2. Mai 2017
Ephraim auf dem Weg – 14. Ein Nebeltrauma
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 14 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Die Anspannung war greifbar. Mirjam hatte ihre Sachen fertiggepackt und vertrieb sich mit den drei Kindern Daniel, Sirach und Naema die Zeit. Doch mit ihren Gedanken war sie weit weg. Dieses Mal war es etwas anders [...] -
9. Mai 2017
Ephraim auf dem Weg – 15. Am großen Fluss
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 15 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Mirjam war mit einem Mal hellwach. Sie öffnete ihre Augen und schaute an das Zeltdach. Sofort waren die Erinnerungen präsent. Ist das alles real, dachte sie. Hatten sie gestern tatsächlich das Verheißene Land gesehen? Würde ihr [...] -
14. Mai 2017
Ephraim auf dem Weg – 16. Das Ende vom Anfang
Download Artikel als PDF – Beachte: Dies ist Teil 16 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile – Nadav saß auf einem Felsen und schaute auf den großen Fluss. Es war noch vor Sonnenaufgang, aber es dämmerte bereits. Nachdem er sich stundenlang hin- und hergewälzt hatte und nicht mehr richtig schlafen konnte, war er [...] -
7. Juni 2017
Ephraim auf dem Weg – Die zweite Episode…
Download Artikel als PDF Mirjam und Ephraim auf dem Weg ins Verheißene Land. Nadav und Ruth werden am Torah-Berg benötigt. Rinah, Gideon und Shimon haben sich entschieden, Mirjam und Ephraim zu begleiten. Auch Dov erhielt die Erlaubnis – solange er sich an die Regeln hält. (Hier alle Teile der Geschichte). Wie wird es weitergehen? Die [...]
Mariusz86
14. Mai 2017 @ 17:52
Shalom,
in Teil 14 und jetzt im Teil 15, lese ich bzw. höre ich zum ersten mal über die Neshkan Adler.
Das wäre mal ein erlebnis. 😉