Den Bruder verstehen 6 – Die Oral Torah
Beim kompletten Kurs steht der Gedanke im Fokus, unseren Bruder Juda verstehen zu wollen. Es geht nicht darum, ihn zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Davon hatten wir genug in der Geschichte.
Das ist wichtig im Hinterkopf zu behalten, wenn es um das heutige Thema geht: „Die mündliche Torah“ – oder auch „Oral Torah“.
Juden glauben im Allgemeinen daran, dass es eine Oral Torah gibt und wir wollen verstehen, warum sie dieser Meinung sind.
Allerdings soll es in dieser Ausarbeitung nicht darum gehen, ob es tatsächlich eine mündliche Torah von Gott an Mose gab oder nicht. Wir haben das Ziel, Juda zu verstehen, nicht über sie zu urteilen. Das ist natürlich ein schwieriger Spagat, doch ich denke es ist mehr als fair.
Und so gehen wir heute drei Fragen auf den Grund:
- Was ist die Oral Torah?
- Warum glauben Juden an eine Oral Torah?
- Spricht das Neue Testament von einer Oral Torah?
(Beachte, dass trotz der Länge des Artikels manche Themenbereiche nur gestreift werden können.)
Zu Beginn noch zwei Bemerkungen:
- Das Thema rund um die Oral Torah ist in anderen Ländern bei Gläubigen, die sich mit den Wurzeln des Glaubens auseinandersetzen, schon länger ein großes Thema. Gerade in den USA gibt es sogar einige, die über die Inhalte der Oral Torah lehren.
- Ich denke, dass es an der Zeit ist, nicht mehr kategorisch über diesen Bereich hinwegzugehen. Selbst wenn die Oral Torah keine von Gott gegebene Lehre ist, kann dennoch viel Weisheit und Wissen darin liegen. Oder?
A. Was ist die Oral Torah?
Juden glauben, dass Gott dem Volk Israel, insbesondere Mose, am Berg Sinai nicht nur eine schriftliche Torah gegeben hat, sondern auch noch viele weitere Gebote, die in der Folge mündlich (oral) überliefert worden sind.
Deshalb spricht man hier von einer Oral Torah.
Diese mündlichen Überlieferungen wurden nach dieser Ansicht über die Jahrhunderte stets weitergegeben. Als man dann kurz vor dem zweiten Exil stand (im zweiten Jahrhundert), wurde man sich der Gefahr bewusst, dass diese Überlieferungen in der Zerstreuung verloren gehen könnten.
Aus diesem Grund nahmen sich einige Rabbiner der Aufgabe an, die Oral Torah in schriftliche Form zu bringen.
Das heißt allerdings nicht, dass es davor keine Schriften von diesen Geboten gab. In jeder Generation gab es Propheten oder große Gelehrte, die Schriften über das anfertigten, was sie von ihren Lehrern gelernt hatten.
Die eigentliche Aufgabe bestand nun darin, existierende Schriften zu einem großen Werk zusammenzufassen. Das geschah primär im zweiten Jahrhundert unter Rabbi Judah Ben Shimon. Er sammelte Schriften, so dass daraus die sogenannte Mischna entstand.
Die Mischna wurde zu diesem Zeitpunkt von allen Juden in allen Ländern akzeptiert und in der Folge viele Male abgeschrieben. So verloren Juden im Exil diese mündlichen Überlieferungen nicht.
Um das Jahr 500 rum, entstand in Babylon die Gemara. Diese enthält Erläuterungen, Diskussionen und Abhandlungen über die Inhalte der Mischna.
Mischna und Gemara ergeben zusammen den Talmud!
Vor allem die Inhalte der Gemara sind dabei bis auf den heutigen Tag unter Nicht-Juden sehr umstritten.
Kein normaler Schreibstiel
Wir alle wissen, wie fatal es sein kann, wenn man einen Vers aus der Bibel aus seinem Kontext herausreißt und daraus womöglich noch eine Lehre zusammenbastelt. Gerade auf dem Weg der Widerherstellung merken wir, wie das Lesen des großen Kontextes unser Bild der Bibel vollständig verändert.
Im Talmud besteht dieses Problem nicht weniger. Häufig werden Stellen aus dem Talmud zitiert, um die jüdische Lehre in Verruf zu bringen. Diese Zitate sind zu allem Überfluss sogar häufig falsch. Doch auch echte Zitate sind regelmäßig aus dem Kontext gerissen, was hier fatale Folgen haben kann.
Der Talmud benutzt nämlich eine Schreibform, die in unserer Kultur unüblich ist. Dabei werden Thesen in den Raum geworfen, die dann in einem folgenden Diskurs (im Dialogstil) entweder bestätigt oder abgelehnt werden.
Zitiert man also eine dieser einzelnen Thesen, ohne zu erwähnen, dass diese später abgelehnt wird, kann man sehr leicht gegen das Judentum aufwiegeln.
Leider passiert das bis zum heutigen Tag regelmäßig!
Doch wir fokussieren uns in dieser Ausarbeitung auf die Mischna – also den Teil des Talmuds, der von Juden als die mündlich weitergegebenen Gebote von Mose angesehen wird.
B. Warum glauben Juden an eine Oral Torah?
Für unsere Ohren hört sich diese ganze Thematik sehr abstrus an. Doch natürlich haben Juden Gründe dafür. Und um ihre Seite zu hören und zu verstehen, schauen wir uns diese Gründe an.
Doch ich möchte deutlich darauf hinweisen, dass jeder von uns diese Thematik selbst prüfen muss. Denn ich möchte hiermit nicht sagen, dass wir nun alle nach der Oral Torah leben müssen!
Unser Ziel ist es weiterhin, den Bruder zu verstehen. Warum lebt und glaubt er so wie er es tut?
Auf der anderen Seite möchte ich ebenso bewusst darauf achten, keine Wertigkeit gegen die Oral Torah zu vermitteln. Viele der jüdischen Argumente sind alles andere als an den Haaren herbeigezogen. Und definitiv sollten wir aufhören gegen etwas zu wettern und Dinge zu beurteilen, die wir noch nicht genau untersucht haben.
1. Allgemeiner Glaube des Volkes
Als ich zum ersten Mal einen Rabbiner fragte, warum Juden glauben, dass Gott Mose auch eine Oral Torah gegeben hat, bekam ich eine kurze prägnante Antwort: Alle glauben es!
Was meinte er damit?
Wir kennen das Prinzip der 2-3 Zeugen. Und in diese Richtung zielt sein Argument ab. Millionen von Juden bezeugen, dass ihre Vorväter in der Wüste von Mose viele weitere Gebote erhalten haben. Dieses Wissen ging über die Jahrhunderte von Vätern zu Söhnen. Von Großvätern zu Enkeln. Von Ur-Großvätern zu Ur-Enkeln. Und von diesen weiter an deren Kinder und Kindeskinder.
Somit gibt es heute also eine riesige Masse an Juden, die alle das gleiche behaupten – nämlich dass Mose viele weitere Gebote erhielt und diese mündlich weitergab.
Juden geben sogar eine Abfolge von Ältesten, Propheten und Gelehrten an, durch die die Oral Torah lückenlos bis heute weitergegeben worden soll.
Als Außenstehender ist das zunächst keine besondere Aussage. (Aber heute geht es ja um Juda und um ihren Glauben.)
Nachdem ich nachhakte, führte der Rabbi ein weiteres Argument an:
2. Die Oral Torah enthält Göttliche Offenbarungen
Er erklärte mir, dass Juden kein Problem haben, an die Oral Torah zu glauben, weil diese viele offensichtlich göttliche Offenbarungen enthalten würde.
Leider weiß ich „nur“ zwei solcher Beispiele:
Beispiel: Reine Fische
Wir lesen in der schriftlichen Torah, dass ein Fisch dann rein ist, wenn er Schuppen und Flossen hat. Die Mischna beschreibt allerdings, dass es reicht, wenn ein Fisch Schuppen hat. Denn dann habe er auch immer Flossen. (Umgekehrt gilt es nicht.)
Die Wissenschaft bestätigt heutzutage diese Aussage.
Damals war das allerdingt nicht möglich, da die Welt der Ozeane nicht erforscht war.
Geht man also in ein Restaurant, in dem einem ein Stück Fisch mit Schuppen serviert wird, kann man beruhigt davon ausgehen, dass dieser koscher ist.
Beispiel: Kalender
Im Talmud steht geschrieben (Rosh HaHsana 25a), wie lange ein Monat dauert. Rabbi Gamliel wird dort zitiert, der behauptete, von seinen Vorfahren (und letztendlich von Mose selbst) die Information über die Länge eines Monats (in Bezug auf den Mond!) bekommen zu haben.
Er gibt den Wert mit 29 Tagen und einem halben Tag, zwei Drittel einer Stunde und 37 Teile einer Stunde an. Umgerechnet gibt das 29,53059 Tage.
Und dies entspricht tatsächlich dem heutigen wissenschaftlich berechneten Wert von 29,530588 Tagen.
3. Die schriftliche Torah reicht nicht
Schon im letzten Kursteil haben wir gesehen, dass viele Gebote der Torah nicht eindeutig sind. Die meisten Leser werden das schon selbst festgestellt haben. Zu leicht verliert man sich hin Schabbatgruppen in Diskussionen über unterschiedliche Ansichten.
Juden sehen an dieser Stelle einen Beweis, dass es eine Oral Torah geben muss. Hätte Gott nur allein die Schriftliche Torah gegeben, hätte keiner gewusst, was genau zu tun gewesen wäre.
Somit sehen sie die schriftliche Torah und die mündliche Torah in folgendem Verhältnis:
Die schriftliche Torah entspreche einer Art Inhaltsverzeichnis. Dort werden alle Gebote gelistet. Was sie aber im Einzelnen bedeuten oder wie sie ausgelebt werden, das ist dann in der Oral Torah nachzulesen.
Im Folgenden schauen wir uns nun einige Torah-Gebote an, die für diese These von Juden als Beispiele herangezogen werden (wobei es noch viele mehr gibt):
Der Schabbat
Wenn es beispielsweise heißt: „Am siebten Tag sollst du ruhen“ führt die schriftliche Torah nicht weiter aus, was unter Ruhen und was unter Arbeiten zu verstehen ist. (Eine Ausnahme ist das Verbot des Feuermachens – vgl. 2.Mo 35,1-3).
An einigen Stellen der Torah kann man das eine oder andere ableiten (mehr dazu in Teil 9 dieser Serie), doch ausdrückliche Definitionen zu Arbeiten und Ruhen finden wir nicht.
Im Gegenteil. Wir sehen wie Menschen bestraft werden, weil sie eben eine Tätigkeit ausführen, die am Schabbat verboten sei!
Aus jüdischer Sicht ist das ein klarer Beweis für weitere mündliche Gebote. Schließlich muss das Volk gewusst haben, was erlaubt ist und was nicht. Hier geht es um Leben und Tod.
Tzitzit, Mezusa und Tefillin
Die Torah schreibt vor, Tzitzit an den Enden des Obergewandes zu tragen, sich die Worte der Torah auf Arm und Stirn zu platzieren und diese ebenso an die Pfosten des Hauses zu schreiben (vgl. dazu 4.Mo 15,37-40 und 5.Mo 6,4-9).
Auch hier sind Juden der Meinung, dass es mündliche Unterweisungen gegeben haben muss. Wie soll man sonst wissen, was Gott darunter versteht und wie Er es umgesetzt haben wollte!?
Hunderte Fragen würden sich aus diesen Geboten erschließen:
Wie sollen Tzitzit und Tefillin aussehen? Wer soll sie tragen? Wann? Wie häufig? Warum?
An seiner Stelle
Noch einmal zum Schabbat.
2.Mo 16,29: Seht, der Herr hat euch den Sabbat gegeben; darum gibt er euch am sechsten Tag für zwei Tage Brot; so soll nun jeder an seiner Stelle bleiben, und niemand soll am siebten Tag seinen Platz verlassen!
Hier lesen wir von einer Anweisung, die relativ eindeutig bezüglich des Schabbats ist: Jeder soll „an seiner Stelle“ bleiben.
Sehr häufig wird dieser Vers von jüdischer Seite zitiert, wenn es über das Thema Oral Torah geht. Denn woher soll man wissen, wie „seine Stelle“ definiert ist.
- Ist es das eigene Zelt/Haus?
- Sein eigenes Grundstück?
- Die eigene Nachbarschaft?
- Die eigene Stadt?…
Aus jüdischer Sicht wäre es unlogisch, ein Gesetz erhalten zu haben, ohne gesagt zu bekommen, was man darunter versteht.
Schächten
Fleisch essen erlaubt die Torah ausdrücklich – allerdings mit einem besonderen Zusatz:
5.Mo 12,20-21: Wenn aber der Herr, dein Gott, deine Grenzen erweitern wird, wie er es dir verheißen hat, und du sprichst: Ich will Fleisch essen! weil dich gelüstet, Fleisch zu essen, so darfst du Fleisch essen nach aller Herzenslust. Ist aber der Ort, den der Herr, dein Gott, erwählt hat, um seinen Namen dorthin zu setzen, zu fern von dir, so darfst du von deinen Rindern oder von deinen Schafen schlachten, die der Herr dir gegeben hat — wie ich dir geboten habe — und es in deinen Toren essen nach aller Herzenslust.
Das Schlachten der Tiere darf nicht willkürlich sein. Es sollte geschächtet werden. Doch was hat dies hier mit der Oral Torah zu tun?
Der Vers sagt, man soll die Tiere so schächten, wie Gott es geboten hat.
Allerdings – so Juden – erklärt Gott nirgendwo in der Torah, wie Schächten genau auszusehen hat. Insofern muss sich ihrer Meinung nach die Stelle auf Erklärungen beziehen, die man in der heutigen Oral Torah findet.
Widersprüche?
Eine Art von Argumenten wird auch aufgeführt, wenn es darum geht, dass Gebote miteinander in Konflikt geraten.
Was ist zum Beispiel wenn die Beschneidung an einem Schabbat gemacht werden müsste? Zählt es als Arbeit, ist Schneiden ein Problem. Sogar Yeshua nimmt darauf Bezug (Joh 7,22-23).
Oder was ist mit den Moabitern und Ammonitern? Gott verbot den Israeliten ausdrücklich, diese zu heiraten oder übertreten zu lassen (vgl. 5.Mo 23,4). Doch was ist dann mit Ruth, die Moabiterin und zudem Vorfahrin von König David?
Juden meinen, dass es auch dafür die Oral Torah braucht, da diese erklärt, dass dieses Gebot nur für die moabitischen Männer galt.
Wie gesagt, das ist die Sicht unseres Bruders. Ganz unabhängig davon was wir dazu denken oder glauben.
4. Bibelverse die über die Oral Torah reden
Juden sind der Meinung, dass es eindeutige Hinweise in der schriftlichen Torah auf die Oral Torah gibt. Im Folgenden ein paar Beispiele dazu.
Mose auf dem Berg
Mose empfängt im folgenden Vers drei Dinge auf dem Berg Sinai:
2.Mose 24,12: Und der Herr sprach zu Mose: Steige zu mir herauf auf den Berg und bleibe dort, so will ich dir die steinernen Tafeln geben und das Gesetz und das Gebot, das ich geschrieben habe, um sie zu unterweisen!
Unsere Bibel weisen hier in der Übersetzung Unterschiede zu anderen auf. Das Hebräische lautet minimal anders:
- „Gesetz“ ist im hebräischen unbestimmt, es heißt also „ein Gesetz“
- „und das Gebot“ ist im Hebräischen Mehrzahl und unbestimmt, also „und Gebote“
Die englischsprachige King James Bibel gibt diesen Wortlaut wider:
2.Mose 24,12: And the LORD said unto Moses, Come up to me into the mount, and be there: and I will give thee tables of stone, and a law, and commandments which I have written; that thou mayest teach them.
Mit den steinernen Tafeln sind wir vertraut. Aber was ist eine Torah und Gebote? Aus Sicht der Juden ein Bezug zur Oral Torah.
„Oral“ Torah
Die Oral Torah heißt aus dem Grund „oral“, weil Juden glauben, sie sei mündlich gegeben und überliefern worden. (Auch die schriftliche Torah wurde übrigens mündlich gegeben. Diese wurde allerdings von Mose im Laufe der 40 Wüsten-Jahre aufgeschrieben. Die ersten steinernen Tafeln waren die einzigen „Dokumente“, die Gott selbst geschrieben hatte – vgl. 5.Mo 9,10.)
Aus diesem Grund unterscheiden Juden zwischen Versen, in denen es um das „Wort“ geht (z.B. 5.Mo 13,1) und in denen es um etwas Geschriebenes geht (z.B. 5.Mo 31,26).
Torot
Die Übersetzung von „Torah“ ist „Lehre“ oder „Unterweisung“. Und doch ist es auch der Name der fünf Bücher Mose und nach jüdischer Sicht eben auch der Oral „Torah“.
Aus diesem Grund finden sie es erwähnenswert, dass das Wort Torah auch viele Male im Plural vorkommt: Torot im Hebräischen.
2.Mo 18,16: Denn wenn sie eine Rechtssache haben, kommen sie zu mir, dass ich entscheide, wer von beiden recht hat, und damit ich ihnen Gottes Ordnungen und seine Gesetze [hebr. torot] verkünde.
2.Mo 18,20: und erkläre ihnen die Ordnungen und Gesetze [hebr. torot], dass du ihnen den Weg verkündest, auf dem sie wandeln, und die Werke, die sie tun sollen.
3.Mo 26,46: Das sind die Satzungen, die Rechtsbestimmungen und Gesetze [hebr. torot], die der Herr auf dem Berg Sinai durch die Hand Moses gegeben hat, damit sie zwischen ihm und den Kindern Israels bestehen sollten.
Ps 105,45: damit sie seine Satzungen hielten und seine Lehren [hebr. torot] bewahrten. Hallelujah!
Neh 9,13: Du bist auf den Berg Sinai herabgefahren und hast mit ihnen vom Himmel her geredet und ihnen richtige Ordnungen und wahrhaftige Gesetze [hebr. torot] gegeben, gute Satzungen und Gebote.
5. Bibelverse die zur Oral Torah Bezug nehmen
Juden sind der Meinung, dass viele Beispiele in der schriftlichen Torah in Bezug zur Oral Torah stehen.
Schauen wir uns ein paar an:
Keine Last
Gott spricht über den Propheten Jeremia zum Volk, dass sie keine Lasten am Schabbat tragen sollen. Juden fragen sich, woher sollten sie wissen, dass dies verboten sei, wenn nicht durch eine Oral Torah?
Jer 17,21-23: So spricht der Herr: Hütet euch um eurer Seele willen, dass ihr am Sabbattag keine Last auf euch nehmt und sie zu den Toren Jerusalems hineinbringt! Auch sollt ihr am Sabbattag keine Last aus euren Häusern tragen und kein Werk tun; sondern heiligt den Sabbattag, wie ich es euren Vätern geboten habe! Aber sie sind nicht gehorsam gewesen und haben ihr Ohr nicht [zu mir] geneigt, sondern sie haben sich hartnäckig geweigert, zu gehorchen oder Zucht anzunehmen.
Kaufen eines Feldes
Gott beauftragt Jeremia, Feld zu erwerben. Dabei werden viele Details mit aufgeführt (Zeugen, versiegelte, unversiegelte Abschrift etc.). In der Torah finden wir darüber nichts. Doch die Oral Torah definiert all dies, so dass es für Juden eine Bestätigung der Oral Torah ist.
Jer 32,9-12: Und ich kaufte das Feld bei Anatot von meinem Vetter Hanamel und wog ihm das Geld dar, 17 Schekel Silber. Und ich schrieb einen Kaufbrief und versiegelte ihn und berief Zeugen und wog das Geld auf der Waage ab. Und ich nahm den versiegelten Kaufbrief mit der Abmachung und den Bedingungen, dazu auch den offenen, und ich übergab den Kaufbrief Baruch, dem Sohn Nerijas, des Sohnes Machsejas, vor den Augen meines Vetters Hanamel und vor den Augen der Zeugen, die den Kaufbrief unterschrieben hatten, auch vor den Augen aller Juden, die im Gefängnishof saßen.
Opfer in der Wüste?
Nicht wenige Male wird in der Bibel Bezug auf Ereignisse genommen, die sonst in der Bibel keine Erwähnung finden. Da sie aber in der Oral Torah erwähnt werden, sehen Juden dies als Bestätigung an. So zum Beispiel beim Propheten Amos:
Amos 5,25-26: Habt ihr etwa mir während der 40 Jahre in der Wüste Schlachtopfer und Speisopfer dargebracht, ihr vom Haus Israel? Ihr habt die Hütten eures Moloch und den Kaiwan, eure Götzenbilder, getragen, das Sternbild eurer Götter, die ihr euch gemacht habt!
Torah-Codes
Und schließlich führen Juden sogar Torah-Codes an, die von der Oral Torah zeugen sollen.
„Oral Torah“ heißt im Hebräischen תורה שבעל פה, „torah shebe`al peh“. Diese Buchstaben haben einen Zahlenwert von 1098 (man zählt den Zahlenwert der einzelnen Buchstaben zusammen).
Nun führen Rabbiner aus, wie dieser Zahlenwert an vielen bedeutenden Stellen vorkommt.
So zum Beispiel hat „Himmel und Erde“ den gleichen Zahlenwert 1098, so dass wir einen Bezug zu den 10 Geboten als auch zum ersten Vers der Bibel haben:
2.Mo 20,11: Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darin ist, und er ruhte am siebten Tag; darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und geheiligt.
1.Mo 1,1: Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.
Da Juden das AlefTav als Äquivalenz für die schriftliche Torah sehen, können wir an dieser Stelle sogar verstehen, warum Juden glauben, dass Schriftliche Torah und Oral Torah schon am Anfang der Welt existierten:
1.Mo 1,1: Im Anfang schuf Gott et (AlefTav) shamajim v’et ha’eretz (die Himmel und die Erde).
Ersetzt man nun das Aleftav „et“ und Himmel und Erde „shamajim v’et ha’eretz“:
Am Anfang erschuf Gott die schriftliche Torah (und) die Oral Torah.
Diese Dinge sind definitiv interessant. Prüfen müssen wir sie dennoch.
Warum eine mündliche Torah?
Beschäftigt man sich mit dieser ganzen „Oral Torah“-Geschichte, stellt sich schnell die Frage, warum es überhaupt eine mündliche Torah gegeben haben soll? Hätte man eine solche nicht auch aufschreiben können?
Juden antworten darauf wie folgt:
Ursprünglich war die Oral Torah dazu gedacht, dass sie ausschließlich mündlich weitergegeben werden sollte. Nur für den Notfall sollte es die Möglichkeit geben, sie auch in schriftliche Form zu bringen.
Als sich das große Exil und die Zerstreuung ankündigte, nahm man diesen „Notfall“ ernst und sammelte die mündlichen Überlieferungen zu einem allgemeinen Werk (das von beinah allen Juden akzeptiert wurde).
Doch warum war eine schriftliche Form ursprünglich nicht erwünscht?
Gibt man Inhalte mündlich weiter, hat man dadurch die Chance, durch Nachfragen zur exakten Antwort zu kommen. Bei einem geschriebenen Text ist das extrem schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Jeder geschriebene Text lässt Spielraum zur unterschiedlichen Auslegung.
Hätte es die Oral Torah also von Anfang an in schriftlicher Form gegeben, hätte dies zu Problemen, Spaltung und Streit geführt, weil man sie unterschiedlich ausgelebt hätte (so Rabbi Aryeh Kaplan).
Beachte auch hier unbedingt wieder, dass dies Ansichten des Judentums sind. Wir lassen sie so stehen, ohne bewerten zu wollen.
C. Das Neue Testament und die Oral Torah.
Rabbiner die sich ausgiebig und intensiv mit dem Neuen Testament befassen (davon gibt es einige), erkennen in diesem eine riesige Bandbreite von Bezügen zu den mündlichen Überlieferungen.
Es sollte uns auch nicht wundern. Das Neue Testament wurde von Juden geschrieben. Verstehen wir dies, erhalten wir schon dann einen komplett anderen Blick auf das Neue Testament. Doch wieviel mehr muss das bei einem Juden sein, der die ganzen Hintergründe in und auswendig kennt!?
Beschneidungen am Schabbat
Oben wurde schon einen Bezug zur Oral Torah erwähnt. Im Johannesevangelium redet Yeshua über den Konflikt zwischen Beschneidung und Schabbat.
Joh 7,22-23: Darum [sage ich euch:] Mose hat euch die Beschneidung gegeben (nicht dass sie von Mose kommt, sondern von den Vätern), und ihr beschneidet den Menschen am Sabbat. Wenn ein Mensch am Sabbat die Beschneidung empfängt, damit das Gesetz Moses nicht übertreten wird, was zürnt ihr mir denn, dass ich den ganzen Menschen am Sabbat gesund gemacht habe?
Die Mischna definiert, dass Schneiden am Schabbat verboten ist. Doch das Gebot der Beschneidung liegt in diesem Fall höher, so dass es erlaubt ist, seinen Sohn am Schabbat (falls dies sein achter Tag ist) beschneiden zu lassen.
Mit diesem Hintergrundwissen können wir verstehen, worum es Yeshua hier geht.
Zauberer in Ägypten
Auch Paulus zitiert Informationen aus den jüdischen Überlieferungen, denn in der schriftlichen Torah sind solche Hintergründe nicht aufgeführt:
2.Tim 3,8: Auf dieselbe Weise aber wie Jannes und Jambres dem Mose widerstanden, so widerstehen auch diese [Leute] der Wahrheit; es sind Menschen mit völlig verdorbener Gesinnung, untüchtig zum Glauben.
Jannes und Jambres gehörten zu den ägyptischen Zauberern, die am Hof des Pharao gegen Mose mit falschen Wunderzeichen auftraten (vgl. 2Mo 7,11).
Bileam
Offb 2,14: Aber einiges habe ich gegen dich: Du hast Leute dort, die sich an die Lehre Bileams halten, der den Balak lehrte, die Israeliten zu verführen, vom Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben.
Auch hier erhalten wir Informationen, die nur in den Überlieferungen erwähnt werden.
Bileam riet den Moabitern nach den gescheiterten Fluchversuchen, ihre Töchter zu den Israeliten zu schicken. Sie sollten diese heiraten und zu Perversion, Unmoralität und Götzendienst verführen. Bileam wusste, dass dann der Zorn Gottes sie treffen würde und sie verwundbar wären.
4.Mo 31,16: Siehe, haben nicht diese die Israeliten durch Bileams Rat abwendig gemacht, dass sie sich versündigten am HERRN durch den Baal-Peor, sodass der Gemeinde des HERRN eine Plage widerfuhr?
Zacharias
Erneute Hintergrundinformationen finden wir im Matthäusevangelium.
Mt 23,35: Damit über euch alles gerechte Blut kommt, das auf Erden vergossen worden ist, vom Blut Abels, des Gerechten, bis zum Blut des Zacharias, des Sohnes Barachias, den ihr zwischen dem Tempel und dem Altar getötet habt.
Ein Schabbatweg
Nicht wenigen ist aufgefallen, dass in der Apostelgeschichte von einem Schabbatweg die Rede ist. Es ist die Wegstrecke, die man – der Oral Torah zufolge – am Schabbat nicht überschreiten sollte.
Apg 1,12: Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berg, welcher Ölberg heißt, der nahe bei Jerusalem liegt, einen Sabbatweg entfernt.
Gebetsriemen
Yeshua kritisiert die Gebetsriemen (Tefillin) der Juden. Doch nicht etwa, weil sie diese generell benutzen. Er kritisiert, dass sie zu breit sind.
Mt 23,5: Alle ihre Werke tun sie aber, um von den Leuten gesehen zu werden. Sie machen nämlich ihre Gebetsriemen breit und die Säume an ihren Gewändern groß,
Wäre Yeshua gegen Gebetsriemen gewesen, hätte er es an dieser Stelle mit Sicherheit gesagt.
Man könnte noch viele weitere Beispiele anführen. Rabbi Avraham Feld schreibt in seinem Buch „Jewish Secrets hidden in the New Testament“, dass er 600 Bezüge im Neuen Testament zur Oral Torah gefunden habe (in diesem Buch führt er allerdings nur vereinzelte auf).
Zusammenfassung
Vielleicht geht es dir ähnlich wie mir: Es ist sehr erstaunlich, welche Begründungen Juden für die Oral Torah heranziehen. Ich finde es sehr bereichernd, die Sicht der Juden zu hören und sie dadurch um einiges besser verstehen zu können.
Wie auch immer es tatsächlich war – ob diese Oral Torah nun von Gott gegeben wurde oder nicht – ich sehe mittlerweile auf jeden Fall etwas Positives darin, gemeinsame Regeln und Gebote als Volk zu haben. Nur dann ist gemeinschaftliches Leben möglich. Schon im letzten Kurs-Teil ist das deutlich geworden.
Und außerdem zeigt es mir, wie schwierig es ist, einzelne Stellen in der Bibel – auch im Neuen Testament – ohne dieses Hintergrundwissen zu verstehen.
Was können wir also mitnehmen?
Sicherlich gibt es viele Ansätze in der Oral Torah die nachdenkens- und nachahmenswert sind, doch – und da möchten wir nicht missverstanden werden – sagen wir von worldwidewings nicht, dass wir danach leben sollen. Denn alles muss in Übereinstimmung mit der schriftlichen Torah erfolgen. Sie ist das Fundament, auf dem wir stehen! Und wo Lehrmeinungen davon abweichen, können wir nichts übernehmen.
- Danke und Schalom – von Hosea Ben Zion - 26. Juli 2017
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Karin Haaf
6. März 2016 @ 19:32
Ich finde es auch sehr interessant, was Bruder Juda alles an Schätzen hat…
Vielleicht ist die mündliche Torah deshalb so wichtig, weil der Heilige Geist für alle Gläubigen erst durch Jeschua verfügbar ist? Er wird auch sicher offenbaren, was mit dem Wort Gottes übereinstimmt und was nicht…
Schön, dass wir heute Zugang zu beidem haben!
Hosea
7. März 2016 @ 9:22
Stimmt, Karin. Schätze gibt es tatsächlich einige.
Danke für deine interessanten Gedanken. Ich bin auch sehr gespannt, wie die Reise weitergeht 🙂
Vor allem dann, wenn tatsächlich der siebte Tag anbricht und wir hören dürfen, wie alles gemeint ist.
Gertraud Dautel
7. März 2016 @ 10:34
Schalom, Liebe Geschwister, schon vor vielen jahren (9) durfte ich eine Auslegung der Geschichte von der Frau am Brunnen Joh,4, von einem Juden hören. Die Tiefe und Größe dieser Auslegung hat mich neugierig gemacht, mehr über das Judentum und ihrer Sprache zu erfahren. Es ist so eine große Weisheit darin, die ich bis dahin nicht geahnt habe! ich kann für mich sagen, dass ich die Oral-Thora durchaus für richtig halte und notwendig. Doch ob ich selbst in allen Dingen danach leben kann, muß ich jeweils prüfen! spricht nicht JHWH auch heute zu uns durch den Ruach Ha Kodesch! Lieber Hosea ich danke dir, dass du das alles aufgeschlüßelt hast. Nun kann ich mir vorstellen -ein klein wenig- warum unser großer Bruder einen so großen WErt auf die Oral-Thora legt.
Gertraud
Hosea
10. März 2016 @ 12:15
Danke auch, Gertraud!!
Hört sich spannend an, was zu über die Frau am Brunnen gelernt hast.
Reichen Segen,
Hosea
Jurij
7. März 2016 @ 14:09
Shalom
Gnade und Frieden sei euch allen zuteil in Jeshua Hamashiach.
Für mich ist es vereinfacht gesagt, wie eine Ausbildung.
In der Schule der Theoretische Part, und dann auf der Baustelle die Praktische Lehre.
Beide zusammen ergeben das verstehen im Hören und Sehen.Amen
Shalom..
Hosea
10. März 2016 @ 12:17
Shalom Jurij,
Danke für deinen Kommentar-
Heißt das für dich, dass der Theoretische Part die Torah ist und die Praktische Lehre die Oral Torah?
Shalom,
Hosea