Slichot
Nun sind wir schon im Monat Elul angekommen.
Der Elul ist der Monat vor den hohen Feiertagen im Tischri. Er ist die Gelegenheit, sich auf die kommenden Tage vorzubereiten. Als intensive Vorbereitung gegen Ende des Elul betet man Slichot.
“Slicha!” ist ein gebräuchliches Wort in Israel für alle passenden Gelegenheiten, in denen man sich entschuldigen möchte. Wenn man etwas verschüttet, jemanden versehentlich anrempelt, das Wechselgeld an der Kasse verkehrt herausgibt oder Schlimmeres. Man entschuldigt sich einfach. Und das ist in Ordnung so. Slichot sind, wenn man es wörtlich übertragen würde, “Entschuldigungen”.
Slichot werden in den 10 Tagen der Buße gebetet, aber darauf werde ich gleich noch genauer eingehen. Auch könnte man sie als letzte Chance sehen, mit Leuten in Kontakt zu kommen, mit denen ich / Du etwas zu bereinignen habe / hast. Oder auch, wenn ich weiß, dass jemand ein Problem mit mir hat, und kommt nicht auf mich zu, dann kann, darf und sollte ich den ersten Schritt zur Versöhnung tun. Diese 10 Tage sind ein spezieller Count-Down bis Jom Kippur. Nur an den beiden Tagen von Rosch HaSchana werden die Slichot unterbrochen. Dieses Jahr geht es los mit Slichot am 17.09., das ist der 26. Elul.
Wenn ich in meinem Kalender schon die neuen Termine eintrage, dann fällt mein Blick immer wieder auf die kontrastfarbigen Worte “Slichot”. Schon jetzt werde ich gedanklich darauf eingestimmt, und manchmal macht sich ein ehrfürchtiges Gefühl in mir breit. So ist es jeden Elul. Draussen verändert sich die Landschaft Richtung Herbst und mahnt das Bewußtsein: Es dauert nicht mehr lange, die Unbekümmertheit des Sommers geht zu Ende.
Es wurde in den frühren Artikeln schon viel über die Bedeutung und Praxis der Herbstfeste erklärt und geschrieben, welche ich wärmstens empfehle zu lesen. Dort wird z.B. auch das Beten von Psalmen und das “Alwinu Malkenu” als Slichot erwähnt. Slichot heißt nicht, dass ich mich ent-schuldige, sondern Gott um Vergebung bitte.
Heute geht es um zwei Gedanken:
Was ist das, was wir tun sollten, und nicht hinbekommen haben, weswegen wir Buße tun, und was könnte uns vor den inneren Augen stehen, damit wir an YHWH gedenken und leben, wie es ihm gefällt?
Wenn man etwas Großes zunächst komprimiert, dann lässt sich leichter erkennen, um was es eigentlich geht. Die Details sind dann eine sehr individuelle Sache. In unserem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wo in meinem Leben brauche ich Umkehr und Reinigung. Meistens wissen wir, wo unsere Schwachstellen sind. Manchmal wird man im Laufe der Zeit etwas zu stumpf, um an der Änderung der Schwäche zu arbeiten. Manchmal ist man geistlich gewachsen, und im Laufe dieses Wachstums ändern sich auch die Bedingungen. Ein Beispiel aus dem echten Leben: Einem kleinen Kind sieht man viele Dinge nach, weil man weiß, dass es dieses oder jenes gar nicht kann. Kein vernünftiger Mensch würde von einem Kleinkind “Unmögliches” verlangen. Aber wenn das Kind älter geworden ist und genügend
Reife und Fähigkeiten erworben hat, dann werden andere Maßstäbe gesetz. Das niedrige Niveau, das bei einem Kleinkind normal ist, wäre bei einem Halbwüchsigen völlig unangebracht. Nun, im geistlichen Leben ist es auch so, nur manchmal wissen wir gar nicht, in welchem Wachstumsstadium wir uns befinden. Oft benehmen wir uns wie geistliche Kleinkinder, vielleicht aus Gewohnheit, sind aber in Wahrheit schon darüber hinausgewachsen und sollten mehr in der Verantwortung leben, dessen, was wir an Offenbarung und Reife schon erlangt haben. Leider sind es oft die alten Gewohnheiten und alte Verhaltensweisen, die unreflektiert in unseren Leben Regie führen. Ihnen die Regie zu nehmen, und dem Geist Gottes zu übergeben, darum geht es im Grunde.
Eine sehr gute Zusammenfassung dessen, was die Torah uns sagt, steht im Propheten Micha:
Womit soll ich vor YHWH treten, mich beugen vor dem erhabenen Gott? Soll ich mit Brandopfern, mit einjährigen Kälbern vor ihn treten? Hat YHWH Wohlgefallen an Tausenden von Widdern oder an unzähligen Strömen von Öl?
Dies sind ja die Anweiseungen YHWHs, wie man es tun sollte, und es war nicht falsch, damit vor YHWH zu kommen. Aber selbst die kostbarsten Gaben aus allem, was wir an Gütern von ihm bekommen haben, reichen nicht aus. Was wäre denn sonst noch angemessen? Micha fragt weiter:
Soll ich meinen Erstgeborenen geben für meine Übertretung [der Torah], die Frucht meines Leibes für die Sünde meiner Seele?
Dieses “undenkbare” Opfer, denn menschliches Leben stand nie auf der Liste der Opfer, dieses wäre ja auch unzureichend gewesen, dieses aber hat YHWH, der Ewige selbst übernommen. Gott selbst hat UNS ent-schuldigt. Das wußte Micha zu diesem Zeitpunkt noch nicht so genau. Dennoch geht er weiter, und er erklärt in einem Satz, was dem Ewigen, unserem Vater gefällt, was er von uns will:
Es ist dir gesagt, o Mensch, was gut ist, und was YHWH von dir fordert: Was anders als Recht zu tun, Liebe üben und demütig wandeln mit deinem Gott. Micha 6, 6-8
In englisch hört sich das so an: do justice, love mercy, walk humbly with your God. Für mich übersetze ich das so: tue Gerechtigkeit; liebe es, barmherzig zu sein, gehe (jeden Tag / stets) in Demut, d.h. in Anerkennung von Gottes Größe und seinem Wesen, in der Gemeinschaft mit IHM.
Damit wird mir sehr schnell klar, in welche Richtung meine Buße und Verhaltensänderung gehen muss. Der Geist Gottes kann hier eine präzisere Sicht schenken, und ich kann mich nun auf seine Führung einlassen, das loszuwerden, was doch nur hinderlich ist und unnötige Last. Was Flecken und Runzeln darstellt.
Gerechtigkeit tun betrifft in erster Linie mein allgemeines Verhalten. Davon schreibt Micha in den weiteren Versen auch Einiges, und auch bei allen anderen Propheten ist von der Klage über ungerechtes Verhalten die Rede.
Liebe oder Barmherzigkeit üben wirkt sich besonders im Umgang mit den Mitmenschen aus. Gerade in Gemeinschaften hört man oft den etwas hilflosen Satz : Es menschelt halt.
Aber genügt das fehlerhafte, “menschliche” Verhalten den Ansprüchen, die der Vater stellt, was er bei seinen Kindern sehen will? Sicher nicht. Wie können wir (jeder für sich) es üben, im Umgang mit dem Anderen barmherzig zu sein?
In dem wir uns klar machen, dass auch der Vater im Himmel mit UNS, mit MIR barmherzig ist, geduldig, freundlich, gütig, nachsichtig, wissend um Ängste und Sorgen, verständnisvoll und tröstend, aber er bleibt auch nicht stehen an diesem Punkt, sondern er fordert heraus, geht mit mir weiter, mag keinen Stolz, vergibt aber, wenn ich meine Fehler bekenne, gibt neue Perspektive, lässt mich nicht an meinem angestammten Platz, sondern macht mir klar, dass ich vertrauend auf IHN, neue Schritte wagen soll und mich dabei auf meinen Gegenüber einlassen darf.
Ich muß also nicht weiterhin meine Position verteidigen, wie ein Platzhirsch, der keinen Raum lässt für jemand anderen, sondern ich darf auch mal einen Schritt zurück treten und dem Anderen den Vortritt lassen. Und siehe da, oft ist die neu gewonnene Bereicherung der pure Segen.
Denken wir also betend darüber nach, an welcher Stelle wir noch mehr Barmherzigkeit üben können.
Was mir am Kontext von Micha 6 noch auffällt, ist dass es sich hier um das ganze Volk handelt, das befreit worden ist. In Vers 3 spricht YHWH durch den Propheten seine Zuhörer an mit: “Mein Volk”. Vers 4 macht deutlich, wer genau das Volk ist:
Habe ich dich doch aus dem Land Ägypten heraufgeführt und dich aus dem Haus der Knechtschaft erlöst und Mose und Aaron und Mirjam vor dir her gesandt! Micha 6,4
Alle, die aus Ägypten auszogen, die befreit worden waren, wurden auch als Volk angenommen. Mose, als Mittler, hat ihnen gedient, dann auch Aaron als Priester und Mirjam als Prophetin und Lobpreisleiterin. Ein wunderbares Bild wie Gott sich Jüngerschaft vorstellt, denn er will ein ganzes Volk aus Königen (Mittler als Messias/König), Priestern und Propheten haben. (Vgl. 2. Kön. 23,2 und Off. 1,6) Sind wir also sein Volk, das er sich gemacht hat? Dann sollten wir sein, WIE er uns gemacht hat, oder es werden.
Demütig wandeln mit meinem Gott, so wie Henoch wandelte, wie geht das? Unser Bruder Jim Staley hat einmal ein paar einprägsame Punkte genannt, über die es sich lohnt, nachzudenken: Think Yah all the time. Denke Yah die ganze Zeit!
No fear anymore. Keine Angst mehr. Ask him, and You will get. Bitte Ihn, und Du wirst empfangen. Und für mich war noch wichtig anzufügen: echt sein, authentisch.
Diese Denk-Hilfe habe ich buchstäblich vor Augen, wenn ich in meinem Haus umherlaufe, aber erst der Geist Gottes schreibt sie Stück für Stück ins Herz.
Was denkst Du darüber? Hast Du auch schon Erfahrungen damit gemacht? Lass uns die Slichot im Vertrauen auf IHN begrüßen.
Ich bin gespannt auf Deine Impulse und darauf, was ich von Dir lernen kann.
Channah.
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Ga
16. August 2018 @ 3:08
Das ist die aschkenasische Sitte. Die sephardischen Juden nehmen den gesamten Monat Elul für die Slichot. Die Chassidim nur einen Tag vorher.