Ephraim trifft Juda – Teil 1 – Beim Gebet
Wenn Juda und Ephraim eins werden sollen, dann müssen wir Schritte aufeinander zugehen (hier eine wichtige Einführung zum Thema).
Doch wie kann das praktisch aussehen?
Gebetszeiten
Vielleicht hast du schon einmal gehört, dass gläubige Juden dreimal am Tag beten.
Viele Christen empfinden das als abschreckend und als Last, da sie lieber selbst bestimmen wollen, wann sie beten.
Aber im Normalfall denken Juden da ganz anders darüber. Sie sehen es als eine Freude und Hilfe an.
In ihrem Verständnis kommen dann auch die Unterschiede zwischen Mann und Frau zum Tragen. Denn an den jüdischen Gebeten (morgens, nachmittags, abends – wenn möglich in der Synagoge) nehmen die Männer teil. Warum? Weil sie von Natur aus eher Hilfe und eine Struktur dafür benötigen.
Frauen sind anders gestrickt. Sie haben intuitiv viel eher einen Zugang zu Gott.
Und wenn ich ehrlich bin, kann ich diese Sichtweise gut nachvollziehen und akzeptieren. Oft genug habe ich in meinem Leben versucht, eine Regelmäßigkeit in mein Gebetsleben zu bekommen. Gewisse Strukturen konnten sich dabei verfestigen. Und das ist für mich eine große Hilfe.
Männer brauchen Strukturen – und viel einfacher ist es zudem, wenn man es nicht alleine sondern in einer Gemeinschaft (oder mit einem Gegenüber) durchzieht.
Sind regelmäßige Gebete ein Gebot?
Interessanterweise sehen Juden die Gebetszeiten mittels der Opferzeiten indirekt in der Torah verordnet (und damit bekommen sie nochmal ein ganz anderes Gewicht).
Warum ist das so? Opferzeiten waren ganz eng mit Gebet verknüpft. Man sagt, dass das Volk zur gleichen Zeit wenn in Jerusalem geopfert wurde im ganzen Land zum Gebet innehielt. Nachdem der erste Tempel von den Babyloniern zerstört wurde, behielt man diese Praxis bei.
Ps 119,108: Herr, lass dir doch wohlgefallen die freiwilligen Opfer meines Mundes, und lehre mich deine Bestimmungen!Ps 141,2: Lass mein Gebet wie Räucherwerk gelten vor dir, das Aufheben meiner Hände wie das Abendopfer.
Esr 9,5: Und um das Abendopfer stand ich auf von meiner Demütigung, bei der ich mein Hemd und mein Obergewand zerrissen hatte, und ich fiel auf meine Knie und breitete meine Hände aus zu dem Herrn, meinem Gott.
Dan 6,11: Als nun Daniel erfuhr, dass ein solches Gebot ergangen war, ging er hinein in sein Haus. Er hatte aber an seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem, und er fiel dreimal am Tag auf seine Knie, betete, lobte und dankte seinem Elohim, wie er es auch vorher zu tun pflegte.
(siehe z.B. auch 1Kön 18,36b; Dan 9,21; …)
Moedim
Die Gebetszeiten bekommen einen noch größeren Stellenwert, wenn man erkennt, dass die Opferzeiten Moedim waren. Also genauso wie die Feste des Herrn (3.Mo 23), waren/sind es festgesetzte Zeitpunkte oder „Terminvereinbarungen“ mit unserem Schöpfer:
4.Mo 28,1-2: Und der Herr redete zu Mose und sprach: Gebiete den Kindern Israels und sprich zu ihnen: Ihr sollt darauf achten, dass ihr meine Opfergaben, meine Speise von meinen Feueropfern, die zum lieblichen Geruch für mich sind, mir darbringt zu ihrer bestimmten Zeit (hebr. moed).
Man erkennt also immer mehr darin, dass das Gebet zu den festgesetzten Zeiten etwas Wunderbares ist. Es ist eine Ehre und ein Privileg, dreimal am Tag die Verabredung mit unserem Vater anzunehmen!
Freitagnachmittag in der Synagoge
Mit diesem Wissen machte ich mich letzte Woche in eine der Synagogen hier in der Stadt auf, um am Nachmittaggebet teilzunehmen. Da es Freitagnachmittag war, ging dieses dann in den erev Schabbat über.
Was würde mich dort wohl erwarten?
Mit meinem Siddur in der Hand (dem jüdischen Gebetsbuch) suchte ich mir einen Stuhl in den hinteren Reihen. Erstmal alles beobachten.
Immer mehr Gläubige traten ein und nahmen zunächst Platz. Schon bald begann der Vorbeter mit den Gebeten. Und das mit einem unglaublichen Tempo.
Vielleicht hattest du schon mal ein Siddur-Buch in der Hand. Vorgefertigte Gebete sind bei vielen Christen nicht sonderlich in der Mode. Auf der anderen Seite habe ich aber auch schon oft genug gehört, wie Menschen gar nicht richtig wissen, was sie beten können oder wie sie ihr Gebet formulieren sollen. Auch driften viele „christlichen“ Gebete schnell in die Fürbitte ab, so dass viele andere Aspekte (Lobpreis, Dank, Ehrfurcht, …) unter den Tisch fallen (natürlich ist Fürbitte nicht verkehrt).
Da kann das Siddur-Buch tatsächlich eine Hilfe sein. Hier findet man zu beinah allen Lebensbereichen ein entsprechendes Gebet. Das ist wirklich beeindruckend. Vor allem dann, wenn man sieht, das der Großteil der Gebete aus Bibelversen besteht.
Manch einer denkt vielleicht, dass solche Gebete einen zu sehr zum „Plappern wie die Heiden“ verleiten. Doch ich glaube, dass es dabei nicht auf die Gebete ankommt. Schon häufig habe ich erlebt, wie manche Menschen (auch ich) Gebete daherplapperten ohne mit dem Herzen dabei zu sein. Doch natürlich ist es das Herz, worum es dabei geht. Nicht um die Art der Gebete.
Nun kannst du dir sicher vorstellen, dass es sich dabei nicht um ein kleines Buch handelt. Und auch wenn ich eine abgespeckte Version mitgebracht hatte, die sich auf die täglichen Gebetszeiten fokussiert und die neben einer deutschen Übersetzung auch die hebräische Lautschrift mit aufführt (sehr genial!), war ich zunächst absolut überfordert.
Wahrscheinlich wäre es auch schwierig geworden, hätte ich die entsprechenden Stellen gefunden, da das Tempo für mich zu hoch war.
Also betete ich für mich manche Gebete aus diesem wundervollen Buch und sog weiter diese geheimnisvolle und bewegende Atmosphäre auf.
Schabbat Schalom!
Es war beeindruckend, wie sehr alles seine Ordnung hatte. Jung und Alt waren hier versammelt und jeder wusste was zu tun ist. Die Gebete wurden nicht einfach von vorne vorgetragen. Jeder war involviert, betete mit. Es war eine Lebendigkeit im Raum, die die meisten von uns in einer orthodoxen Gemeinschaft nicht erwartet hätten.
Doch das war erst der Anfang.
Große Freude kam auf, als es zu den Schabbatgebeten kam. Der heilige Tag der Woche wurde eingeläutet und mit Liedern angestimmt. Es ist schon sehr bewegend, wenn 120 Männer in einem Raum stehen und mit ganzem Herzen Gott suchen und ihn loben.
Schon nach einigen Liedern ging es dann in einen Tanz über. Alle Männer bildeten einen großen Kreis, sangen und priesen den einzig wahren Gott. (Was für eine Ehre, dass ich dabei sein durfte.)
Immer wieder stimmten Gläubige Gebete an (auch Kinder), die die restliche Gemeinde dann mitbetete. Es war eine Harmonie. Alles eine Ordnung. Genauso wie Rabbi Scha‘ul (Paulus) es damals den Korinthern vorgeschrieben hatte.
Mittlerweile hatte auch mein Sitznachbar (zwischen uns waren noch zwei leere Plätze) bemerkt, wie orientierungslos ich war. Voller Dankbarkeit nahm ich seine Hinweise an, so dass ich die entsprechenden Gebete – die nun viel langsamer gesprochen wurden – in meinem Siddur mitbeten konnte.
Mittendrin gab es auch Zeiten der Ruhe, in der jeder Gläubige für sich still Gebete sprach.
Es war wirklich eine bewegende Zeit. Noch nie hatte ich jemanden gesehen, der sich so sehr über den Schabbat freut. Hier war es eine ganze Gemeinde.
Als das Gebet vorüber war, äußerte sich dies in Begrüßungen und Umarmungen. Viele strahlende Gesichter. Glückliche Kinder. Schabbat Schalom!
Nicht schlecht staunte ich, als ich sah, dass draußen schon wieder gesungen und getanzt wurde. Zwanzig junge Männer standen im Kreis und stimmten voller Freude ein Lied nach dem anderen an.
Ein bewegender Abend, den ich sicherlich nicht vergessen werde.
Nach ein paar Gesprächen ging ich sehr erfüllt nach Hause – ohne zu ahnen, was am nächsten Morgen und am restlichen Schabbat noch alles folgen würde…
Lecha dodi – ein Schabbatlied aus dem Siddur. Hier zwei Versionen, allerdings mit anderen Melodien:
oder:
- Danke und Schalom – von Hosea Ben Zion - 26. Juli 2017
- Gesundheit, Sehnsucht und eine tiefere Beziehung – Wie sieben Früchte dein gestliches Leben stärken! (Teil 7) - 19. Juli 2017
- Gesundheit, Sehnsucht und eine tiefere Beziehung – Wie sieben Früchte dein gestliches Leben stärken! (Teil 6) - 18. Juli 2017
Peter
8. Juli 2015 @ 11:07
Hallo Hosea,
das freut mich, dass Du Deine/Eure Erfahrungen in Israel hier in diesem Rahmen erzählst. So können wir teihaben, auch wenn wir nicht dabei sind.
Da ich mit meinem Gebetsleben auch oft “hadere”, bin ich froh um jede weitere Sichtweise.
Falls Du das lesenswerte Buch von Jakob Damkani kennst (Mitten ins Herz): Das Gebetsverhalten in der Synagoge seiner Jugend hat ja bei ihm auch einiges ausgelöst…
Viele Grüße nach Israel, auch an Deine Familie
Peter
Hosea
8. Juli 2015 @ 19:31
Hallo Peter,
Das freut mich wirklich sehr… und es ermutigt mich! Es ist ja kein typischer Weg. Aber spannend auf jeden Fall.
Ganz viele herzliche Grüße zurück 🙂
Mariusz
9. Juli 2015 @ 16:02
Shalom Bruder Hosea, *drücker*
als ich zum Glauben kam an den HERRN, hab ich mich anfangs sehr mit dem Judentum beschäftigt, den dies war ja die erste anlaufstelle für mich, bis ich weiter forschte.
Lecha Dodi von Rabbi Groysman gesungen, fand ich sehr gut und höre es mir zum Shabbat-eingang auch mal an, danach folgen die Lieder Shabbat Shalom von Jonathan Settle, und das Shalom Alechem sowie Adon Olam.
Ich wünsche euch alles Gute und freue mich von euch zu Lesen und Hören natürlich, liebe Grüße und drücker*
Shalom und Segen im Herrn,
Mariusz 😉
Hosea
23. Juli 2015 @ 13:57
Shalom mein Bruder,
wie schön von dir zu hören/lesen! Ja, in den Liedern steckt schon eine besondere Tiefe!
Sei reich gesegnet und bis schon bald,
Hosea
Dorothea
10. Juli 2015 @ 13:33
Shalom Hosea,
herzlichen Dank für deine wundervollen Ausführungen. Freue mich für dich und deine Familie über euren Weg. Es ermutigt uns dran zu bleiben, den Shabbat zu feiern, auch mit diesen herrlichen Shabbatlieder. Denn unser Herr ist unser Bräutigam und auch der Herr über den Shabbat.
Shabbat Shalom
Hosea
23. Juli 2015 @ 13:55
Das freut mich! Ja, es ist so wichtig, dass wir mit dem Schabbat am Ball bleiben! Es ist unser Erkennungszeichen 😉
Seid reich gesegnet und gegrüßt!!
Shalom,
Hosea