Ephraim auf dem Weg – 6. Ephraims Geschichte
– Beachte: Dies ist Teil 6 von “Ephraim auf dem Weg” – Weitere Teile –
Als Mirjam erwachte, dämmerte es bereits. Mit geschlossenen Augen lag sie auf der Couch und dachte nach. Langsam kamen die Erinnerungen zurück. Die Reise. Boas. Die Männer, die sie verfolgt hatten. Und der Stein, der sie getroffen hatte…
Ihre Schmerzen hatten ein wenig nachgelassen, doch sie fühlte sich geschafft.
Mirjam hörte, wie sich Menschen ruhig und gedämpft miteinander unterhielten.
Nach einigen Augenblicken drehte sie sich zu Seite, so dass sie den ganzen Raum sehen konnte. Sie lag auf einem Sofa in einer Wohnecke, in der auch noch ein Sessel stand. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein offener Kamin, in dem dicke Holzscheite glühten und eine angenehme Wärme verbreiteten. Etwas entfernt von der Wohnecke stand ein Tisch, an dem vier Personen saßen.
Rut nahm als erstes wahr, dass Mirjam nicht mehr schlief. „Oh, Mirjam…“ Sie lief zu ihr herüber, während sich Mirjam langsam aufrichtete. „Wie geht es dir? Hast du noch Schmerzen?“
„Ja. Aber das Ruhen hat gut getan. Wo sind wir hier?“
Nun kamen auch die anderen drei zur Couch. Nadav schaute sie freundlich an, während Ephraim sehr ernst wirkte. Den dritten Mann hatte sie noch nie gesehen. Er war schon älter, nicht besonders groß und hatte einen langen Bart. Sein Gesicht wirkte sehr freundlich und seine Augen schauten liebevoll zu Mirjam. Mit einer warmen Stimme sprach der alte Mann sie an. „Schön, dass es dir besser geht, Mirjam. Und willkommen beim Torah-Berg. Ich bin Jotam und das ist unser beschauliches Zuhause!“
„Hallo, Jotam! Das ist sehr nett. Und danke, dass ich ihre Couch benutzen durfte. Ich fühl mich noch etwas schummrig. Was ist denn noch passiert, nachdem ich von dem Stein getroffen wurde? Und was waren das eigentlich für Verrückte?“, sie schaute fragend in die Runde.
„Ich bin auch froh, dass es dir etwas besser geht – und vor allem dass nichts Schlimmeres passiert ist. Es hätte ja auch etwas gebrochen sein können oder der Stein hätte deinen Kopf treffen können!“, antwortete Nadav.
„Gott sei Dank ist Ephraim genau zur richtigen Zeit gekommen.“, ergänzte Rut.
„Aber… Was waren das für Menschen?“, wollte Mirjam wissen.
„Dort unten wimmelt es von solchen Gruppen.“, sagte Nadav. „Sie preisen ihre Lehren an und versuchen, Menschen für ihre Überzeugungen zu gewinnen. Manche von ihnen gehen dabei richtig aggressiv zu Werke. Es tut mir schrecklich leid, dass wir auf sie gestoßen sind und dass du, Mirjam, es auch noch so abbekommen hast! Wahrlich kein gutes Zeugnis für einen Reiseführer.“
„Aber nein, Nadav!“, reagierte Mirjam am schnellsten. „Mach dir keine Vorwürfe. Du kannst doch nichts dafür. Vor allem nicht dafür, dass Boas einfach alleine weitergeht!“ Nadav schaute Mirjam mit einem dankbaren Lächeln an.
Jetzt schaltete sich zum ersten Mal Ephraim ein: „Du kannst wirklich nichts dafür, Nadav. Die Gruppe, auf die ihr gestoßen seid, ist noch ganz neu hier. Ihr Anführer ist erst vor wenigen Tagen eingetroffen und seine Vorgehensweisen sind sehr fragwürdig. Er arbeitet mit Druck und argumentiert sehr tückisch. Mal sehen wie es sich entwickelt und wo sie sich letztendlich niederlassen. In den letzten Wochen hatte ich schon mehrmals von Gerüchten um ein neues Dorf gehört. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre Werbeaktionen starteten.“
Jotam hatte Kekse und ihre Tassen geholt. Er stellte sie auf einen kleinen Tisch vor dem Sofa. Rut nahm nun neben Mirjam Platz, während Nadav zwei Stühle brachte. Sie überließen Jotam den Sessel.
„Wo hast du von diesen Gerüchten gehört, Ephraim?!“, fragte Jotam.
„Ich war im Westen. Drüben beim großen Wald…“, antwortete Ephraim. Nadav unterbrach ihn. „Du bist schon wieder über…?“ Er sprach seinen Satz nicht zu Ende.
Ephraims Blick war fest. Er blickte ins Leere und sprach mit seiner tiefen Stimme. „Ihr wisst genauso gut wie ich, dass die Zeiten nicht einfacher werden und dass es mehr und mehr Gefahren gibt. Die Erlebnisse heute sollten uns ein warnendes Beispiel sein. Es wird immer schwieriger, andere hier auf den Torah-Berg zu bringen. Und die vielen Dörfer dort drüben sind die reinsten Festungen. Es ist unglaublich, was dort alles vor sich geht.“
Es herrschte ein paar Sekunden Stille. Mirjam und Rut tauschten fragende Blicke aus.
„Habt nur Vertrauen!“, sprach Jotam und schaute in die Runde. „Unser Vater hat alles unter Kontrolle. Es passiert auch vieles Gute. Und ER gebraucht sogar die Dörfer drüben im Westen. Unabhängig davon, ob wir das glauben können oder nicht.“
Jotams Blick blieb bei Ephraim hängen, der sehr nachdenklich drein schaute. Nach einer Weile antwortete er. „Ich denke, du hast Recht, Jotam. Danke, dass du diese Sicht mit uns teilst.“
Mirjam wunderte sich, da sie bei Ephraim eine gewisse Einfühlsamkeit spürte, die sie so bei ihm noch nicht erlebt hatte.
Ephraim fuhr fort. „Jotam, seitdem ich dich kenne bist du eine große Stütze für mich. Ohne dich hätte ich wohl viele Fehler gemacht. Was denkst du, wie sollen wir weitermachen?“
Mirjam und Rut, die in den letzten Minuten nur Teile von dem verstanden, was die anderen redeten, warfen einander Blicke zu. Rut zog minimal ihre Augenbrauen hoch. Beide waren sie über die Worte Ephraims, der sonst alles andere als Rat-suchend wirkte, überrascht. Mirjam merkte, wie Ephraim seine vollständige Konzentration auf Jotam gerichtet hatte. So als ob er gar nicht mehr realisierte, dass auch noch andere im Raum waren.
„Ephraim… Ich denke, du weißt, in welche Richtung du schon bald musst. Es führt kein anderer Weg hindurch.“
Jotam machte eine Pause, in der er Ephraim weiterhin ununterbrochen mit seinen strahlenden Augen ansah. Dann fuhr er fort.
„Du hast hier sehr vieles bewegt und aufgebaut. Doch es wird Zeit weiterzugehen. Schau nicht nach links und rechts. Vor allem nicht hinter dich. Menschen werden dir folgen, auch wenn es nicht sichtbar ist. Allerdings wissen viele nicht, wohin der Weg geht und du musst es ihnen zeigen, indem du ihn selbst gehst!“
Mirjam war beeindruckt, mit welcher Güte und Liebe Jotam mit Ephraim sprach. So stellte sie sich einen liebenden Vater vor, der seinen Sohn ermutigt.
„Allerdings…“, sprach Jotam „Ich würde dir tatsächlich gerne noch einen wichtigen Rat mitgeben: Gehe bitte nicht alleine! Nimm dir Unterstützung mit!“
Ephraim richtete sein Blick auf die Holzscheite, die weiterhin im Kamin glühten. Er schwieg. Mirjam merkte, dass Jotam einen sensiblen Punkt bei Ephraim getroffen hatte.
Da sich das Gespräch zu einem kleinen Dialog entwickelt hatte, schauten die anderen drei etwas verlegen drein. Jotam überließ Ephraim seinen Gedanken und richtete sich nun an Nadav und die beiden Frauen.
„Kann ich euch noch etwas anbieten?“ er nahm die Teekanne und schenkte nach. „Wisst ihr, Gott hat so wunderbare Wege. Er ist voller Liebe für seine Kinder und darauf können wir vertrauen. Ich finde es übrigens sehr mutig, dass ihr beiden Frauen euch auf den Weg gemacht habt. Es war sicherlich nicht einfach für euch. Und heute habt ihr sogar erlebt, dass das das Gehen auf diesem Weg alles andere als ein Kinderspiel ist. Aber ihr sollt wissen, es lohnt sich. Besonders hier auf dem Torah-Berg gibt es eine Menge zu entdecken. Glaubt mir, ich lebe hier schon seit vielen Jahrzehnten. Ich grabe und forsche. Doch ich bin noch immer ein Lernender. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, ich weiß viel weniger als am Anfang.“ Jotam musste lachen. „Wenn man noch jung und idealistisch ist, da denkt man manchmal, man wüsste Bescheid. Aber so lange ein Mensch das glaubt, weiß man, dass er noch ganz am Anfang ist!“
Jotam richtete sich in seinem Sessel auf. „So, ich denke, es ist Zeit, dass ihr euch stärkt. Meine Frau ist zwar zu unseren Kindern verreist. Aber trotzdem hat sie uns reich beschenkt. Nadav, kannst du bitte die Suppe aus der Küche holen? Das Brot sollte daneben liegen.“
„Ja, gerne!“ Nadav verschwand kurz und brachte neben Suppe und Brot auch einige Teller und Löffel zum Tisch. Während er die Teller deckte und Jotam nochmal in der Küche verschwand, half Rut Mirjam beim Aufstehen. Es war schwer zu übersehen, dass Mirjam weiterhin Schmerzen in ihrer Schulter hatte.
„Wie geht es dir eigentlich, Rut?“, wollte Mirjam wissen.
„Müde bin ich! Und emotional geordnet fühle ich mich auch noch nicht wirklich!“, Rut zwinkerte und fing an zu grinsen.
„Dein Gemüt möchte ich mal haben!“ lächelte Mirjam zurück. „Ich bin froh, dass du dabei bist!“
Sie setzen sich an den Tisch. Jotam kam und sprach einen Segen über das Brot. Dann genossen sie die leckere Kartoffel-Lauch-Suppe und freuten sich über das Zusammensein. Jotam berichtete vom Torah-Berg und von den vielen Erlebnissen und Begegnungen, die er hier schon hier gemacht hatte. Während Nadav, Rut und Mirjam begeistert an Jotams Lippen hingen, war Ephraim die ganze Zeit über tief in Gedanken versunken.
Nach dem Essen machte sich bei allen die Müdigkeit breit. Jotam zeigte Rut und Mirjam das kleine gemütliche Gästezimmer im ersten Stock, in dem zwei frisch bezogene Holzbetten standen. Die beiden Frauen tauschten sich noch etwas über die Erlebnisse an diesem ereignisreichen Tag aus. Doch dann brauchten sie nicht lange, bis sie in einen tiefen Schlaf gesunken waren.
Am nächsten Morgen erwachte Mirjam noch vor Rut. Sie stand auf, zog sich an und schlich aus dem Zimmer nach unten. Dort stellte sie zu ihrem Erstaunen fest, dass nur Ephraim da war. Er saß am Tisch und studierte verschiedene Karten.
„Guten Morgen.“, sagte Mirjam. Ephraim blickte auf.
„Guten Morgen, Mirjam.“
„Wo sind die anderen beiden?“
„Nadav und Jotam sind spazieren. Wie geht es deiner Schulter?“
„Danke, schon etwas besser. Sie schmerzt noch, aber es könnte schlimmer sein.“ Mirjam machte eine kurze Pause. Ephraim widmete sich wieder den Karten auf dem Tisch.
„Und was machst du?“
„Ich muss mir einige Karten gut einprägen.“
Ephraim machte nicht wirklich den Eindruck, sich unterhalten zu wollen. Mirjam wartete kurz. Dann startete sie einen neuen Versuch.
„Jotam ist ein sehr besonderer Mann, nicht wahr!?“
Ephraim blickte kurz auf.
„Ja, er ist großartig. Es gibt niemanden, von dem ich annähernd viel gelernt hätte.“
„Ihn besuchen bestimmt eine Menge Leute, oder?“
„Nein, leider nicht! Die meisten halten nicht viel von den Weisen hier im Land. Deshalb haben sie sich auch so zurückgezogen.“
Wieder entstand eine kurze Pause. Mirjam überlegte, wie sie dieses stockende Gespräch in Gang bringen konnte. „Jotam war es doch, der dir damals im Dorf geholfen hat, oder? Wie hat er das denn geschafft?“
Ephraim blickte sie überrascht an. „Oh, ich sehe, du bist gut informiert.“ Ein kleines, süffisantes Lächeln huschte über sein Gesicht. Mirjam spürte, dass sie ihn etwas aus der Reserve gelockt hatte. „Ja, Jotam war der einzige, der mir damals helfen konnte. Er hat genug Erfahrung, um für das meiste falsche Essen ein Gegenmittel zu haben. Das heißt, wenn Jotam nicht in deiner Nähe ist, solltest du dir im Vorhinein gut überlegen, was du isst und was nicht. Übrigens hat auch das Essen bei Jotam eine starke Wirkung. Du wirst es gestern Abend wahrscheinlich nicht gemerkt haben. Aber das kommt spätestens dann, wenn wir auf dem Torah-Berg sind.“
Mirjam merkte, dass Ephraim das Gespräch von ihm weglenkte. Doch sie blieb hartnäckig. „Was hat es denn bei dir damals bewirkt?“
Mirjam sah es Ephraims Gesichtsausdruck an, dass er intensiv überlegte, ob und was er antworten solle. Zu ihrem Überraschen ließ er ließ sich auf die Frage ein.
„Das Gebäck, das ich damals zunächst gegessen hatte, stammte von einem Bäcker in einem dieser Dörfer im Westen dieses Landes. Als ich daraufhin unter Schmerzen flach lag, musste ich immer wieder an dieses Dorf denken – und das obwohl ich bis dahin niemals dort war. Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber es war schon eine sehr merkwürdige Erfahrung. Immer wieder kamen in mir Gedanken hoch, die sagten, wie falsch alle anderen Bewohner im Dorf der Gemeinschaft liegen. Sie hätten nicht die richtige Wahrheit und so weiter.“
Mirjam freute sich sehr, dass Ephraim nun etwas redseliger wurde.
„Ich hatte zwar diese Gedanken, doch ich spürte schnell, dass das alles nicht mit rechten Dingen zuging. Nadav hat mir viel geholfen. Doch auch er konnte mich nicht heilen.“ Ephraim schaute nun an Mirjam vorbei ins Leere. „Dann kam Jotam. Er hatte nicht nur sehr starke Worte für mich, die die Gedanken durchbrachen. Letztendlich holte er einige Früchte aus seiner Tasche hervor, die ich essen sollte. Ich weiß nicht so recht, warum ich ihm vertraute – solcher Leichtglaube hatte mich ja erst in diese Lage gebracht. Doch Jotam hat eine Ausstrahlung und Wirkung auf Menschen, die ich niemals vorher so erlebt hatte.“
„Und was waren das für Früchte?“, wollte Mirjam wissen.
„Getrocknete Feigen. Sie schmeckten köstlich. Und sie änderten schnell meine Lage. Sofort danach hörten diese seltsamen Gedanken gänzlich auf. Und nach wenigen Stunden waren die Schmerzen weg. Du kannst dir vorstellen, was ich danach tat, oder?“, Ephraim sah Mirjam mittlerweile wieder an.
„Du wolltest den Verursacher für die Krankheit finden?“, fragte Mirjam.
„Ja, genau! Das zum einen. Es ließ mir natürlich keine Ruhe. Ich wollte wissen, was es mit diesem Dorf und den Leuten dort auf sich hatte. Und zum anderen besuchte ich so oft es ging Jotam. Wenn man einmal diese Früchte geschmeckt hat, will man mehr davon. Sie sind besser als jeder Kuchen. Besser als jedes Gebäck. Und das soll ja etwas heißen.“
„Und? Hast du noch mehr davon bekommen? Und was ist mit dem Dorf passiert? Hast du es gefunden?“
„Jotam geht überaus sparsam mit diesen Früchten um. Wahrscheinlich kann ich mich sehr geehrt fühlen, überhaupt welche bekommen zu haben. Er sagte mir einmal, dass sie nicht aus dieser Gegend und deshalb sehr schwer zu erhalten wären.
Tja, und das Dorf… Es ist schon seltsam, was sich im Westen in den letzten Jahren entwickelt hat. Es gibt dort nicht nur dieses eine Dorf, es sind einige. Und es werden immer mehr. Viele habe ich von innen gesehen. Meistens musste ich mich dazu hineinschmuggeln. Aber jedes Mal war ich aufs Neue überrascht, denn die Leute, die dort wohnen, sind glücklich, zufrieden und es herrscht meistens eine Harmonie genauso wie im Dorf der Gemeinschaft.“
„Echt? Und was ist dann das Problem?“, Mirjam schaute Ephraim irritiert an.
„Der Krieg! Die Dörfer untereinander bekriegen sich untereinander. Und eben auch alle anderen, die sich nicht ihnen anschließen wollen. Ihre Mittel werden immer übergriffiger. Ihr habt ja gestern eine solche Gruppe erlebt. Diese war allerdings sehr extrem. Aber leider sind solche Vorkommnisse keine Einzelfälle mehr!“
„Ich kann das nicht verstehen. Warum sind die so? Ich meine, warum können sie nicht einfach friedlich miteinander leben?“ Mirjam schüttelte den Kopf.
„Jedes Dorf macht aus, dass sie eine gewisse Lehre vertreten. Und wenn jemand oder sogar mehrere diese Lehre nicht annehmen, dann triggert das etwas in ihnen, so dass sie eine extreme Haltung annehmen. In diesen Fällen ist es dann häufig Gewalt. Ich glaube aber, dass die Ursache Unsicherheit ist! Fast alle Bewohner hier in diesem bekannten Land sind erst wenige Jahre oder sogar Monate oder Wochen hier. Alles ist neu und jeder ist mehr oder weniger am Lernen und Forschen. Man ist in extremer Weise offen für Neues. Doch leider ist Neues nicht immer richtig – selbst wenn es sich überzeugend anhört. Wenn nun eine Gruppe eine spezielle Lehre vertritt, dann macht sie das stark, weil die anderen in der Gruppe die gleiche Überzeugung haben. Doch wenn viele andere, die Glaubensmeinungen nicht teilen, macht das die Menschen in der Gruppe unsicher. Bewusst oder unbewusst.“
„Und wie ist es bei dir? Spürst du noch Unsicherheit bei dir? Du weißt doch schon so viel.“
Ephraim überlegte kurz.
„Die Weisen vergleichen das Wissen manchmal mit einem großen Meer, aus dem man manchmal leckt. Umso länger man hier ist und lernt, desto mehr versteht man, wie wahr dieses Bild ist. Unser ganzes Wissen ist so begrenzt und eingeschränkt. Aber es geht nicht um das Wissen. Es geht vielmehr um die Grundfesten, wozu auch die eigene Identität gehört. Und an diesen Grundfesten wird gewaltig gewackelt, wenn man durch dieses Land zieht. Kein Wunder also, dass wir uns alle unsicher fühlen. Ja, einige meiner Grundfesten haben sich wieder stabilisiert. Aber vielleicht hab ich mich auch nur schon etwas besser an das Wackeln gewöhnt…“
Ephraim blickte wieder ins Leere. Mirjam schaute ihn ununterbrochen an. Sie spürte, dass er nun so offen und tiefgehend berichtete, wie er es wahrscheinlich nur bei wenigen anderen machen würde. Auf keinen Fall wollte sie ihn jetzt unterbrechen. Sie hatte nun selbst das Gefühl, dass sie gerade einen Schluck aus diesem beschriebenen Ozean trinken durfte. Ephraim blickte nun wieder zu ihr.
„Aber nochmal zurück zu dem großen Meer. Besonders sollten wir uns vor den Leuten in Acht nehmen, die alles ganz genau zu wissen meinen, und es nicht akzeptieren können, wenn jemand etwas anders glaubt. Sie haben den Blick auf das große Meer nicht, sondern glauben alles verstanden zu haben. Doch aus meiner Sicht sind das gerade die Menschen, in denen diese große Unsicherheit vorhanden ist. Darum versuchen sie so krampfhaft, andere von ihrer Meinung zu überzeugen.
Die Weisen wie Jotam zum Beispiel sind das genaue Gegenteil. Bei ihnen spürt man, dass sie in sich selbst ruhen. Nichts kann sie so schnell aus dem Konzept bringen. Und wenn jemand anders glaubt, als sie selbst, dann beunruhigt sie das nicht. Sie können andere stehen lassen und sie drängen sich nicht auf. Ihre Grundfesten sind stabil. Und das finde ich sehe beeindruckend.“
Ephraim hörte auf zu reden und blickte Mirjam an. Er runzelte die Stirn. „Wie kamen wir eigentlich darauf? Ach ja. Es ging um die Dörfer.“
„Und um deine Erlebnisse in dem einen Dorf…“, fügte Mirjam hinzu.
„Hm, das Wichtige war, dass es mich dazu bewog, sich diese Dörfer aus der Nähe anzusehen. Das hat mir viel weitergeholfen. Und dadurch bin ich mehr als jemals motiviert, andere zu warnen und ihnen den guten Weg zu zeigen.“
„Aber wohin führt dieser gute Weg?“
Doch an dieser Stelle wurde ihr Gespräch unterbrochen. Rut betrat den Raum und begrüßte die beiden.
„Guten Morgen! Ihr seid ja schon alle wach. Tut mir leid, dass ich so lange geschlafen habe. Sind wir jetzt wegen mir zu spät? Du hättest mich doch wecken können, Mirjam!?“ Rut lächelte die beiden anderen an, während Ephraim direkt aufstand und Rut seinen Platz anbot. Er ging in die Küche, um Kaffee zu holen.
Mirjam war zunächst irritiert, da sie noch ganz in Gedanken war. Doch dann erwiderte sie Ruts Gruß und umarmte sie.
In diesem Moment betraten auch Jotam und Nadav das Haus und wünschten einen „Guten Morgen“.
Nur wenige Minuten später saßen sie gemeinsam am Frühstückstisch und stärkten sich für den neuen Tag. Sie machten sich Lunchpakete, packten ihre Sachen und waren dann bereit zum Aufbruch.
Mirjam dachte noch die ganze Zeit über das aufschlussreiche Gespräch mit Ephraim nach. Sie hoffte, dass es schon bald wieder eine Möglichkeit geben würde, in der sie sich unterhalten könnten.
Als sie alle fertig waren, verabschiedeten sie sich von Jotam und bedankten sich vielfach bei ihm. „Genießt die Zeit auf dem Torah-Berg und kostet sie voll aus.“, gab dieser ihnen mit. „Es gibt eine Menge zu lernen. Und auch wenn ihr noch nicht alles verstehen werdet, geht auf keinen Fall zurück. Der Weg geht immer weiter und ihr werdet es nicht bereuen.“
Mirjam war gespannt. Sie zog vorsichtig ihren Rucksack auf und zuckte etwas zusammen, als ihre Schulter belastet wurde. Doch es war auszuhalten.
Sie schritten aus der Tür und warteten auf Ephraim, der noch innen bei Jotam war und sich leise mit ihm unterhielt. Dann nahm er seinen Wanderstock, der neben der Tür stand, und ging voraus.
Wenige Augenblicke nachdem sie losgelaufen waren, blickte sich Mirjam nochmals um. Dabei fiel ihr Blick auf einige Worte, die über der Haustür in verschnörkelter Schrift angebracht waren:
Wie habe ich deine Torah so lieb! Ich sinne darüber nach den ganzen Tag. (Ps 119,97)
…
In Teil 7 geht es dann auf den Torah-Berg…
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Jolanta
28. Februar 2017 @ 12:57
Schalom. Wieder ein wunderschönes Erlebnis. Danke, dass ich mit euch gehen und lernen darf. Ich glaube auch, dass unter Gottes Führung und seinen Schutz erreichen wir der Torha berg. Es ist alles gespannt. Dankeschön.